: Ein Fuß in der Ladentür
■ Der Kompromiß im Einzelhandel läßt ein Schlupfloch für verlängerten Ladenschluß offen
Die von den Tarifparteien des Einzelhandels in Bremen und Rheinland-Pfalz unterzeichneten Kompromisse beinhalten eine Auflockerung der gewerkschaftlichen Position zum Ladenschluß. Denn die in Protokollnotizen festgelegten Modalitäten, unter denen Einzelhändler entgegen dem übereinstimmenden Willen der Tarifparteien und entsprechend dem neu verabschiedeten Ladenschlußgesetz am Donnerstag ihre Geschäfte über 18.30 Uhr hinaus öffnen können, sind letztlich nichts anderes als Öffnungsklauseln. Sie sind Ergebnis der Tatsache, daß nicht nur die beiden Tarifparteien am Verhandlungstisch sitzen, sondern unsichtbar - auch die Bundesregierung.
Das Bundesarbeitsministerium hat schon vor den Verhandlungen angekündigt, die Allgemeinverbindlichkeitserklärung für einen Tarifvertrag, der den Gesetzestext zum Ladenschluß unterläuft, zu verweigern. Es nutzt damit die Tatsache aus, daß viele Einzelhändler nicht im Arbeitgeberverband organisiert sind und damit dem Tarifvertrag nicht unterliegen. Mit den Öffnungsklauseln in Bremen und Rheinland-Pfalz versuchen die Tarifparteien, Wettbewerbsverzerrungen zugunsten der nichtorganisierten Arbeitgeber zu verhindern, öffnen aber in Wirklichkeit ein Schlupfloch für die von der Bundesregierung verfolgte Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten.
Die Gewerkschaften versuchen, die im Zuge erweiterter Öffnungszeiten drohende Ausbreitung ungesicherter Arbeitsverhältnisse durch erweiterte Mitbestimmungs- und Schutzrechte für Betriebsräte und Beschäftigte einzudämmen. Nur insoweit ihnen dies gelingt, können sie ihrer Klientel eine flexiblere Haltung in Sachen Ladenschluß zumuten. Nur so können sie sich langsam aus der Zwickmühle befreien, Beschäftigteninteressen vertreten zu müssen, die dem Interesse der VerbraucherInnen nach möglichst unreglementiertem Einkauf letztlich entgegenstehen.
Im Schatten der Diskussion um die Ladenöffnungszeiten stehen die vereinbarten Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen - zu Unrecht: Die Frauen an den Kassen und hinterm Tresen gehören zu den schlechtestbezahlten Beschäftigten der Republik. Teilzeitarbeit ist eher die Regel als die Ausnahme. Mit der 37-Stunden-Woche ab 1991 wird nur der Anschluß an die Arbeitszeiten andererer Branchen hergestellt. 3,1 Prozent beziehungsweise 3,9 Prozent für die nächsten beiden Jahre bedeuten, wenn die Inflation keinen Strich durch die Rechnung macht, einen mehr als überfälligen Reallohnzuwachs. So wie es aussieht, werden die Gewerkschaften noch heftig mobilisieren müssen, um die Kompromisse von Bremen und Rheinland-Pfalz auch in den an deren Tarifgebieten durchzusetzen.Martin Kempe G A S T K O M M E N T A R
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