Ein Freispruch, der rechte Mythen bildet

■ Urteil im Hamburger Prozeß wegen „Auschwitz-Mythos“ ruft allenthalben Empörung hervor / Politiker sehen eine Neuauflage des „Deckert-Urteils“

Berlin (taz)– Die rechtsextreme Szene feiert es als „Sieg für die Nationale Bewegung“, Demokraten schäumen vor Zorn und Unverständnis und Albrecht Kob, Richter am Amtsgericht, hat ein Problem. Er hatte am Mittwoch Jens Siefert (23) und André Goertz (24) freigesprochen, zwei der bekanntesten Figuren der Hamburger Neonaziszene. Sie hatten zu verantworten, daß auf dem Band eines nationalen Infotelefons im März vergangenen Jahres eine Ansage erklärte, deutsche Schulkinder würden gezwungen, die „Hollywood-Seifenoper ,Schindlers Liste‘ zu sehen, damit der Auschwitz- Mythos aufrecht“ erhalten werde. Vor Gericht, so ließ es gestern die Justizpressestelle verlauten, hätten die beiden ausgesagt, die Massenvernichtung in Auschwitz nicht leugnen zu wollen, vielmehr „dazu zu stehen“. Warum Richter Kob für Freispruch entschied, mochte er selbst nicht begründen. Statt seiner erklärte Justizsprecherin Monika Rolf-Schoderer: „Mit ihrer Stellungnahme haben die Angeklagten die eindeutige Interpretation des Begriffs Mythos sehr relativiert.“ Dem 36järigen Richter sei es nicht möglich gewesen, den beiden zu beweisen, daß sie eigentlich den Holocaust leugnen, aus Angst vor einer Verurteilung aber nicht von der „Auschwitz-Lüge“ sprechen. Seitdem diese Wortwahl unter Strafe steht, benutzen auch Neonazis sie kaum mehr. Richter Kob sei dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ gefolgt. Zudem sei der Begriff des Auschwitz-Mythos auch im Spiegel schon in unverdächtiger Weise benutzt worden, verteidigte sie ihren Kollegen. Auch sei Kob auf dem rechten Auge nicht blind, denn er habe im vergangenen Jahr Goertz wegen eines „Kühnen-Grusses“ verurteilt.

Weniger fromme Worte und überhaupt kein Verständnis für den Richterspruch fand Michel Friedmann (CDU) vom Zentralrat der Juden in Deutschland. „Irgendwann muß mal Schluß sein, auch mit dem Respekt vor den Richtern. Sie tun sich selbst den Respekt absprechen.“ Für ihn ist der Begriff eindeutig. Mythos zeige auf etwas Unwirkliches hin, wie im Märchen. Ignatz Bubis meinte, mit solchen Urteilen müsse man rechnen. „Jetzt kommt alles darauf an, wie in der Berufungsinstanz geurteilt wird.“

Das zweifelhafte Urteil beschäftigte auch Mitglieder der Hamburger Bürgerschaft. Ole von Beust, CDU-Fraktionschef, empörte sich: „Mit solch einem Urteil hat die Weimarer Justiz den Nazis zur Macht verholfen. Das Gericht hat sich von den Neonazis austricksen lassen.“ Ex-FDP-Landesvorsitzender Robert Vogel fand es „schrecklich, daß sich das Mannheimer Deckert-Urteil wiederholt“ habe. Mit dem Gerichtsurteil sei abermals jener Geist davongekommen, der den Überlebenden des Holocausts suggerieren wolle, daß die Trauer um ihre ermordeten Angehörigen eine Halluzination sei, bemerkte der Schriftsteller Ralph Giordano.

Der Freispruch wird ein baldiges Nachspiel haben. Die Staatsanwaltschaft hat Berufung eingelegt. Bevor er sich zur Urteilsbegründung äußert, will Justizsenator Klaus Hardrath zunächst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten. Annette Rogalla