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Ein Film über deutsche Neonazis sorgt für Furore - außer in DeutschlandBrisanter Stoff bleibt unter Verschluß

■ "Wahrheit macht frei" heißt der Dokumentarfilm eines deutschen Filmemachers über Neonazi-Aktivitäten in Deutschland und...

Brisanter Stoff bleibt unter Verschluß „Wahrheit macht frei“ heißt der Dokumentarfilm eines deutschen Filmemachers über Neonazi-Aktivitäten in Deutschland und Europa, der zur Zeit im Fernsehen von zehn europäischen Ländern Aufsehen erregt. Dem deutschen TV-Publikum bleibt er bislang vorenthalten, denn ARD und ZDF reagieren mit Zurückhaltung.

VON BERND SIEGLER

Zweieinhalb Jahre lang, von Anfang 1989 bis Mitte 1991, hat der Berliner Fernsehjournalist Michael Schmidt die bundesdeutschen Top-Neonazis Michael Kühnen und Christian Worch sowie den Österreicher Gottfried Küssel begleitet — eine Odyssee durch die militantesten Kreise der rechtsextremen Szene. Während die Neonazis dabei eine gute Chance witterten, ihre Aktivitäten propagandistisch zu verwerten, ging es Schmidt um die „Aufdeckung ihrer internationalen Verbindungen mit zum Teil ,respektablen‘ Organisationen und Persönlichkeiten“. Der 30jährige Schmidt, der derzeit zu seiner eigenen Sicherheit von der Bildfläche verschwunden ist, wollte die Öffentlichkeit vor der „Gefahr eines wiederaufflammenden Neonazismus warnen“. „Das konnte ich nur, indem ich mich möglichst dicht an die Szene heranmachte“, lautete seine Motivation.

Was Schmidt mit der Kamera festgehalten hat, belegt nicht nur die Gefährlichkeit und Entschlossenheit der Szene, sondern auch die internationale Vernetzung der einzelnen Gruppierungen und die ausgezeichnete Zusammenarbeit zwischen Altfaschisten und „Jungvolk“. Schmidts exklusive Aufnahmen zeigen Kühnen, wie er im Herbst 1990 mit der Dresdner Polizei „kameradschaftlich“ verhandelt, Küssel, wie er sich bei einer geheimen Wehrsportübung in den Schlamm wirft, sowie eine Veranstaltung zur Indoktrination von Jugendlichen mit dem NS-Propagandafilm Der ewige Jude. Am 21. April 1990 filmte Schmidt das Treffen von 800 Alt- und Jungnazis im Münchener Löwenbräukeller, wo sich Kühnen, Worch, Althans (München) und Hainke (Bielefeld) mit der „alten Garde“ um Otto-Ernst Remer, Manfred Roeder und dem britischen „Historiker“ David Irving trafen, um die Auschwitz-Lüge zu propagieren. Es war das Motto dieses Treffens, „Wahrheit macht frei“, das Schmidt den Titel zu seinem Film lieferte.

Auch bekam der Fernsehjournalist Videomaterial von illegalen Zeremonien und von Geheimtreffen ausgehändigt, unter anderem von einem Treffen des vor den bundesdeutschen Sicherheitsbehörden nach Dänemark geflohenen Verfassers der Broschüre Die Auschwitz-Lüge, Thies Christopherson, mit dem Chef der Hamburger „Nationalen Liste“, Christian Worch; mit David Irving — dessen Bücher in renommierten Verlagen wie Ullstein in Hamburg, Legenda in Schweden oder Macmillan in London erscheinen — sowie mit führenden Holocaust-Leugnern, dem französischen Literaturprofessor Robert Faurisson und dem Deutsch-Kanadier Ernst Zündel. Die Zusammenkunft fand statt im elsässischen Haguenau. Dort treffen sich alt und jung einmal im Jahr im Café National. Da wird dann das Horst-Wessel-Lied gesungen, und Irving reißt Witze über „Ein-Mann- Gaskammern“.

Verfassungsschützer bagatellisierten

Das Pikante daran: Jedesmal horchten der französische Geheimdienst und der bundesdeutsche Verfassungsschutz mit und waren mit versteckter Kamera dabei — unternahmen jedoch nichts. Auf eine PDS- Anfrage hin spielte Innenstaatssekretär Eduard Lintner letzte Woche diese von der Nouvel Ordre Européen (Europäische Neu-Ordnung, ENO) in Lausanne organisierten Treffen als „unbedeutend“ herunter, obwohl der ENO schon im Verfassungsschutzbericht von 1984 „eine wesentliche Rolle im internationalen Neonazismus“ zugeschrieben worden war. Daß der Schweizer Altfaschist Gaston-Armand Amaudruz (71), der geistige Kopf der 1951 ins Leben gerufenen ENO, mit seiner seit 45 Jahren erscheinenden rassistischen Publikation Courrier du Continent die Kampagne zur Leugnung der Judenvernichtung forciert und zum Beispiel dem bundesdeutschen Rechtsterroristen Manfred Roeder auf seiner Flucht Unterschlupf bot, interessierte Lintner nicht.

Schmidt war mit der Kamera dabei, als der Propagandaleiter der in der Bundesrepublik verbotenen NSDAP-AO (Aufbau- und Auslandsorganisation), der mit Haftbefehl gesuchte Gerhard Rex Lauck aus Lincoln, Nebraska, am 5. Juli 1990 auf dem Ostberliner Flughafen Schönefeld eintraf und dort von Michael Kühnen, Christian Worch und Gottfried Küssel abgeholt wurde. Der NSDAP-AO werden in den letzten fünf Jahren in der Bundesrepublik mehr als 300 Straftaten zur Last gelegt. Für den Verfassungsschutz ist die Bedeutung der konspirativ agierenden Organisation, die für „die Errichtung einer neuen Ordnung auf einer rassischen Grundlage in der ganzen arischen Welt“ kämpft, klar: Neonazis in Kanada und den USA „nehmen ihren deutschen Gesinnungsgenossen seit Jahren das Risiko strafrechtlicher Verfolgung ab, indem sie für diese in großen Mengen Propagandamaterial herstellen und zum Teil auch vertreiben“. In der November/Dezember-Ausgabe der NSDAP-AO-Schrift NS-Kampfruf, die sich durch einen besonders aggressiven Antisemitismus hervortut, kann Lauck einen besonderen Erfolg aufweisen: Neben dem NS-Kampfruf in deutscher Sprache (seit 1973), The New Order in englischer Sprache (seit 1975), dem Sveriges Nationella Förbund in schwedischer Sprache (seit 1990) erscheint jetzt auch Uj Rend in ungarischer Sprache — für Lauck ein wichtiger Etappenschritt, um die nationalsozialistische Propaganda nach Osten auszuweiten, denn: „Gerade dort, wo der kommunistische Jude zurückweicht, muß jetzt der kapitalistische Jude abgewehrt werden.“

Nach Michael Schmidts Recherchen ist die NSDAP-AO eines von mehreren internationalen Netzwerken, vergleichbar dem englischen Blood and Honour um die Neonazi- Rockband „Skrewdriver“ oder der World Union of National Socialist mit der Zentrale in Dänemark. Sie gewähren den in Europa agierenden Neonazis Unterstützung. So ist zum Beispiel im NS-Kampfruf eine „Gefangenenliste“ abgedruckt; aufgeführt ist dort auch der in Schwandorf wegen besonders schwerer Brandstiftung einsitzende Josef Saller, der im Dezember 1988 ein überwiegend von Türken bewohntes Haus in Brand gesetzt hatte und als typischer Einzeltäter verurteilt worden war. Bei dem Brand kamen vier Menschen ums Leben.

Lauck gibt in Wahrheit macht frei mit einem eindeutigen „Oh ja“ zu, daß mehrere NSDAP-AO-Aktivisten auch Mitglieder in „respektierten Parteien“ wären. Kühnen bestätigt im Interview, daß der ehemalige bayerische Chef der „Republikaner“ und jetzige Europaparlamentarier sowie führender Kopf der Deutschen Liga, Harald Neubauer, bis „Mitte der 70er Jahre Funktionär der NSDAP-AO in Norddeutschland“ gewesen sei — als „Gaukassenwart in Schleswig-Holstein“. Auch der Österreicher Gottfried Küssel, Anfang Januar wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung in Wien verhaftet und vorher — nach dem Fall der Mauer — besonders im Osten Deutschlands aktiv, bekennt freimütig, schon seit 1977 Mitglied der NSDAP-AO zu sein. Küssel gibt zu, daß die Neonazis bei ihren Wehrsportübungen von Angehörigen der Bundeswehr und der österreichischen Bundesarmee ausgebildet werden und antwortet auf die Frage, ob er Hemmungen habe, jemanden zu töten: „Ich hätte auch Hemmungen, Schnupfen zu bekommen. Ich kann Hemmungen haben und brauche nicht an der Realität vorbeigehen.“ Als Verbindungsmann zwischen den internationalen Netzen und den nationalen Gruppierungen entlarvt Schmidt den Holländer Gerried Ed Wolsink, Chef der Aktionsfront Nationaler Sozialisten in den Niederlanden und ehemaliger SS- Hauptsturmführer. Die Recherchen des renommierten britischen antifaschistischen Magazins 'Searchlight‘ haben ergeben, daß Wolsink auch als Verbindungsoffizier zum Wiederaufbau der geheimen British National Socialist Movement fungiert. Wolsink gilt demnach als Drahtzieher für die Welle von Schändungen jüdischer Einrichtungen und rassistischer Übergriffe im Jahr 1990.

Brisanter Stoff ist für ARD und ZDF kein Thema

Michael Schmidt hat seinem Film in enger Kooperation mit 'Searchlight‘ produziert, das sich als „Vorhut im Kampf gegen Faschismus und Rassismus“ versteht und über Kontaktmänner in den Führungsetagen der wichtigsten Nazi-Gruppen verfügt. Der Europa-Herausgeber von 'Searchlight‘, Graeme Atkinson, fungierte als Coproduzent und zeichnet für die Recherche verantwortlich. Nachdem Schmidt bei deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten vergeblich um Unterstützung für die Bearbeitung der einhundert Stunden Material gebeten hatte, schloß er mit einem deutschen Privatsender einen Vertrag, wonach ein 30minütiger Beitrag über Neonazis in Deutschland hergestellt werden sollte. Wegen unzureichender „technischer Qualität“ wurde der Beitrag nie ausgestrahlt. Dann wandte er sich an das Schwedische Fernsehen. Und mit Unterstützung der Chefredakteurin vom Kanal 1, Birgitta Karlström, wurde der 54minütige Film schließlich fertiggestellt. Die Premiere fand am 18. September in Schweden statt. Das öffentliche Interesse in Schweden war so groß, daß der Film binnen einer Woche zweimal wiederholt wurde. Danach wurde er in Norwegen, Ungarn, Schweiz, Spanien, Großbritannien, Frankreich, Niederlande, Finnland, in den USA (ABC-Primetime) und am vergangenen Sonntag in Israel und Italien ausgestrahlt — nur die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten in Deutschland zeigten bislang keine beziehungsweise ablehnende Reaktion.

Am 16. Oktober 91 schrieb Birgitta Karlström an die Chefredaktionen von ARD und ZDF und verwies angesichts der Welle von rassistischen Übergriffen in Deutschland auf die Wichtigkeit des Films. „Deutschland sollte nicht das letzte Land in Europa sein, das die Gelegenheit ergreift, das einzigartige Ergebnis einer dreijährigen Recherche über deutsche Neonazis und ihre internationale Einbindung in ein ausgeklügeltes Netzwerk“ auszustrahlen. Doch das Ergebnis dieser Anfrage war für Schmidt „erschütternd“. Von zehn angeschriebenen Sendeanstalten forderten nur zwei, der Süddeutsche Rundfunk (SDR) und der Norddeutsche Rundfunk (NDR) eine Ansichtskopie. Der NDR ließ nie mehr etwas von sich hören, der SDR lehnte am 18. November dankend ab. Der Film enthalte „nicht viel Neues für uns und unsere Zuschauer“, heißt es lapidar. Der Hessische Rundfunk (HR) lehnte eine Ausstrahlung, ohne den Film jemals gesehen zu haben, ab. Man könne „die von Ihnen uns angebotenen zeitgeschichtlichen Programme nicht in unserem Programm verwenden“, da man die „Thematik mehrfach behandelt“ habe und außerdem das Geld fehle. Auch der Sender Freies Berlin (SFB) lehnte von vornherein ab. Der Sender sei „zur Zeit nicht in der Lage, ausländische Filme zu kaufen“. Das ZDF teilte Karlström mit, daß man „das Schreiben weitergeleitet“ habe. Seither herrscht Funkstille. Der Bayerische Rundfunk, der Westdeutsche Rundfunk, der Saarländische Rundfunk und Radio Bremen machten sich nicht einmal die Mühe eines Antwortschreibens.

Angesichts der fehlenden Begründungen glaubt Schmidt, daß der Inhalt des Films „nicht dem entspricht, was das deutsche Fernsehen normalerweise zu dem Thema zeigt“. Er habe nachgewiesen, daß die Neonazis „nicht alles isoliert in der Landschaft herumstehende Blödmänner“ seien, sondern daß es „in der Tat ein durchstrukturiertes ernst zu nehmendes Netzwerk“ gebe, das „bundesdeutsche Behörden einfach nicht wahrhaben und wahrnehmen wollen“.

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