standbild: Ein Fall ins Wasser
Tatort – „Die Möwe“
(So, 20.15 Uhr, ARD)
Ein Tatort ist ein Tatort ist ein Tatort – jedenfalls, wenn der Kommissar Max Palü (alias Jochen Senf) heißt und sein Revier im grenznahen Saarland verortet wird. Auch „Die Möwe“ wartet mit einem Ausbund an Klischees auf: der rechtschaffene, Bootseigener, krummnasige Koks-Dealer, ein ungepflegter Junkie, eine innovative Heldin und zu guter Letzt der frankophile Kommisaar, der per vélo und ohne chic seine Fälle mit einem 1994er Burgunder löst. Im Tatort „Die Möwe“ wird’s dem altgedienten Kommissar nicht leicht gemacht: Zwar erfährt der Zuschauer bereits in der ersten Szene, wo Matrose Bouchet kurz vor seinem Tod versteckend tätig wird, jedoch muss es noch drei Leichen geben, bevor das verschwundene Koks wieder ans Licht kommt. Wie die Lemminge laufen plötzlich alle dem Bösen hinterher, morden, betrügen und lügen. Viele Personen, viele Schnitte, viele Schiffe, viele Geschichten feiern einen Reigen und treffen sich in einem drögen Plot. Bei allen Bemühungen um den frankophilen Einschlag des SR-Tatorts hat man ganz vergessen, sich um Spiel, Spaß und Spannung zu kümmern. Sogar Palü wird die Geschichte zu kompliziert, obwohl der Fall so einfach liegt.
Nach drei Tagen Radfahren an der Saar resigniert er: „Ich komme in dem Fall einfach nicht weiter.“ Logische Antwort: „Klar, weil du die Herausforderung nicht suchst!“ Schließlich kommt, ein Glück, eine Art Eingebung, die Palü und seinen Assistenten Gregor die Täter erahnen und dingfest machen lässt. Und so wie die Schiffe jahrein, jahraus ihre Wege ziehen und keine Grenzen kennen – so eröffnen sich schließlich auch für Grenzfälle unseres Sozialsystems neue Möglichkeiten: Während alle für ihre Sünden dingfest gemacht werden, apportiert Junkie Zecke seiner Tanja das Kokain, welche – einer Möwe gleich – immer vom Wegfliegen geträumt hat, dabei doch an ein und demselben Ort verweilt: einem schäbigen Canapé auf einem undichten Kahn nahe der Grenze.
CHRISTINA BACHER
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