Ein Dino sieht die andern aussterben

Während „Bravo“ und anderen Jugendzeitschriften die jungen Leser in Scharen weglaufen, kriegt ein kleiner Verlag sie alle. Mit simplen Heften zu TV-Serien  ■ Von Eberhard Spohd

Die umgebaute Fabriketage ist längst schon wieder zu klein geworden. „Wir haben uns erst letzten August von 400 auf 1.000 Quadratmeter erweitert, und das ist jetzt schon wieder zuwenig“, stöhnt Sigrun Kaiser, Verlagsleiterin beim Dino Verlag. Hier, im Stuttgarter Westen, wo einstmals die Schokoladenfabrik Waldbaur ihre Katzenzungen für Ältere-Damen-Kränzchen fabrizierte, arbeiten heute rund 60 Mitarbeiter daran, Printprodukte an ein williges junges Publikum zu verkaufen. Die gläsernen Büros sorgen für offene Atmosphäre, in der Gemeinschaftsküche frühstücken die Singles aus dem Verlag gern mal zusammen.

Auch die Erfolgsgeschichte des „Verlags zur Serie“ (Eigenwerbung) hört sich an wie eine von diesen Wundergeschichten aus der modernen Multimedia-Marktwirtschaft. Während fast alle Printmedien zu kämpfen haben, steigern die Stuttgarter ihre Auflagenzahlen geradezu erschreckend. Obwohl genau die Zielgruppe bedient wird, die Bravo in Scharen davonläuft. Der Marktführer verlor allein im letzten Jahr mehr als ein Drittel seiner Leser, die Auflage von Popcorn schrumpfte gleichzeitig um fast die Hälfte, Poprocky und andere sind längst verschwunden (vgl. Kasten). Verglichen mit diesen Umwälzungen sieht selbst der Stern beständig aus.

Wo all die Leser von Bravo und Co. geblieben sind, läßt sich schnell vermuten, wenn man deren Verluste neben die Verkaufszahlen vom Dino-Verlag legt. Kein Verlagsname in Deutschland paßt insofern schlechter: Beim Vergleich zwischen Dino und dem Hamburger Heinrich-Bauer-Verlag (Neue Revue, Playboy), für den Bravo immer noch die wichtigste Geldkuh ist, sieht nämlich der Konkurrent aus wie ein Dinosaurier. Die großen Verlage haben auch diesen boomenden Markt mal wieder sämtlich verschlafen – ähnlich wie bei den Computerzeitschriften.

Während Bauers Verlagschef Claus-Dieter Grabner die Verluste noch hilflos mit der Konjunktur der Jugendidole zu rechtfertigen sucht (“es gibt Startäler und Starberge“), machen die Dinos ihren Aufstieg mit der Ausschlachtung neuer Idole: TV-Stars. Ihr Auflagenbringer heißt Gute-Zeiten-Schlechte-Zeiten-Magazin (GZSZ-Magazin) und ist die Zeitschrift zur RTL-Soap. Das konnte seine Auflage in den letzten anderthalb Jahren mehr als verdoppeln. Ähnlich verläuft die Kurve beim Ableger GZSZ-Rätselspaß, und auch die anderen Dino-Titel tragen meist den Namen von TV-Sendungen. Nur beim Ratemagazin Serien & Stars ist das Verlagsprogramm Zeitschriftentitel.

Kernzielgruppe: Mädchen zwischen 7 und 15 Jahren

Verlagschef Christian Neuber sieht denn auch entspannt aus: „Von 1997 auf 1998 haben wir den Umsatz um 82 Prozent auf 37 Millionen Mark gesteigert, und von 1998 auf 1999 sind wieder 75 Prozent möglich.“ Da ist es wohl nur die schwäbische Unternehmerseele, die Neuber klagen läßt, was es für eine schwere Aufgabe sei, all das Wachstum zu managen: „Eine marode Firma sanieren kann jeder, aber ständig erfolgreich zu bleiben ist hart.“

Die Methode ist, sich auf ein Marktsegment zu konzentrieren. „Unsere Kernkompetenz liegt in der Zielgruppe, die wir definiert haben zwischen sieben und 15 Jahren“, erläutert der 49jährige Verlagschef, „in diesem Bereich sind wir voll entwickelt.“ Und der Mann kennt seine Pappenheimer: Bevor er im Juli 1993 den eigenen Betrieb gründete, war Neuber etliche Jahre beim Schneider-Kinderbuchverlag.

Der Vorteil des jungen Publikums liegt auf der Hand: Einerseits handelt es sich um wahre Fans, die noch alles und wirklich alles über ihre Stars wissen wollen. Die Marke, nämlich der Sendungstitel, ist das Produkt, das Neuber verkauft. Der Inhalt ist mehr oder weniger austauschbar. Daß sich die Käufer für seine Marke interessieren, daran muß der Verleger gar nicht groß arbeiten – das erledigt das viel mächtigere Medium: der Fernsehsender, dem Neuber nur die Titelrechte abzukaufen braucht. Für den Sender stellt Neuber Kundenbindung her. Eine perfekte bimediale Koexistenz.

Und für die jungen Leser (die vor allem Leserinnen sind) scheint sich das Ganze ohnehin auszuzahlen: Warum sollte eineBewunderin von Olli P. auch Bravo kaufen, wenn man doch beim GZSZ-Magazin viel ausführlicher informiert wird? Dafür leistet sich der Dino Verlag eigens eine Autorin in Berlin, die sich regelmäßig am Set herumtreibt. „Wir sind einfach näher dran“, erklärt Verónica Reisenegger, die „Chefredakteurin TV-begleitende Medien“, den Erfolg der Serienhefte: „Wenn in der Bravo etwas anderes steht als bei uns, dann sollen unsere Leserinnen wissen, daß unsere Version richtig ist.“ Da ist es auch nicht schlimm, daß im Grunde jeden Monat die gleiche Zeitschrift aufs neue veröffentlicht werden muß. Die Homestory des Stars, die Serienvorschau auf den kommenden Monat, das Poster – das Strickmuster liegt vor, die Texte müssen nur noch eingepaßt werden. „Wir haben uns lange über die Sprache unterhalten, die wir verwenden wollten“, sagt Reisenegger. Letztlich bleiben kurze Sätze, simpler Inhalt und der Erfolg.

Denn auf der anderen Seite dankt die Zielgruppe dieses Angebot durch Auskunftsfreudigkeit. Der Dino Verlag könnte sich ausführliche Marktanalysen fast sparen. „Die Serienzeitschriften lesen zu 95 Prozent Mädchen zwischen neun und siebzehn Jahren“, freut sich Verlagsfrau Sigrun Kaiser über die Bekenntnisfreude, „in deren Alter sagen die Eltern immer, sie sollen den Mund halten, die kleineren Geschwister verstehen sie nicht, und die größeren nehmen sie nicht ernst“. Da kann man froh sein, daß die Dino-Mitarbeiter schon von Berufs wegen aufmerksam sind, wenn die Leserinnen schreiben oder anrufen. Dann erfüllt Dino einfach die Wünsche. Zwar spielt klassische Zeitschriftenwerbung in den Dino-Heften keine solch große Rolle, wie sonst im Markt.

Nun will der kleine Verlag ein Medienkonzern werden

Aber dafür hat der Verlag noch die Möglichkeit, alle eigenen Angebote in allen anderen eigenen Angeboten kostengünstig zu bewerben. Darum wird auch die Produktpalette bald erweitert. Nicht mehr nur auf Papier, auch als Gummiprodukt oder T-Shirt will Dino seine Marken verwerten. Und sich so zu einem echten Medienkonzern umstrukturieren, denn die rasant wachsenden Vorbilder wie EM.TV oder gar Disney machen es auch nicht anders: Rundumvermarktung auf allen Ebenen.

Zuerst Merchandising: Alles, was in gedruckter Form vorliegt, soll demnächst auch als Tasse, Bettwäsche oder Baseballkappe auf den Markt kommen. Im zweiten Schritt soll dann Internethandel folgen. „80 Prozent unserer Zielgruppe haben einen PC, und 50 Prozent surfen im Internet“, erklärt Neuber den Vertriebsvorteil. Damit soll noch nicht Schluß sein: Neben Zeitschriften und Comics haben die Dinos den Buchverkauf als drittes Standbein etabliert. Auch hier konzentrierten sich die Schwaben zunächst auf Gedrucktes zur Serie wie „Beverly Hills 90210“.

Später soll dann der umgekehrte Weg gegangen werden: Zunächst werde eine Reihe im Buchhandel etabliert und bei Erfolg Sendern zur Verfilmung angeboten. Gegebenenfalls will Dino auch gleich die Produktion übernehmen. „Konzepte dazu liegen bereits auf dem Tisch“, behaupet Sigrun Kaiser.

Da man für solche Investitionen Geld braucht, will der Dino Verlag im Herbst an die Börse, an den neuen Markt, wo auch Vorbild EM.TV reüssierte. Über die Höhe der Kapitalisierung schweigt der kommende Vorstandsvorsitzende sich natürlich aus. Aber sie soll gewährleisten, daß die künftigen Projekte der Dino Entertainment AG – so der neue Name – finanziert werden können.

Der Titel Verlagsgeschäftsführer hat Neuber sowieso nie so recht gepaßt:“Ich bin nach meiner Ausbildung und in meinem Herzen Markenartikler.“ „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, die Serie, von der er lebt, schaut er nie: „Als ich früher bei Dr. Oetker war, habe ich auch keine Backmischungen probiert.“ Sicher seien die Produkte aus seinem Haus keine Hochkultur. Aber Neuber bekennt sich zum Trivialen: „Auch das ist eine Kunst.“