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Ein Buch gegen SarrazinDie Integration des Klaus Wowereit

Ein Buch stellt Geschichten von Ein- und Aufsteigern vor. Herausgegeben wird es von Berlins Regierendem Bürgermeister. Es ist unübersehbar ein Statement gegen das Pamphlet seines Parteikollegen Thilo Sarrazin.

Klaus Wowereit und die Hauptherausgeberin Franziska Richter bei der Buchvorstellung am Montagabend Bild: dpa

Es gibt ein neues Buch von Klaus Wowereit. Besser gesagt: Es gibt kein neues Buch von Klaus Wowereit. Zumindest hat er keine Zeile geschrieben. Er hat ein Buch schreiben lassen. Wowereit steht nur als Herausgeber auf dem Titel. Besser gesagt: als Mitherausgeber. Fast könnte man den Eindruck bekommen, der Regierende Bürgermeister habe es sich recht einfach gemacht. Tatsächlich ist sein Name auf dem Cover ein Statement - für eine zutiefst sozialdemokratische Integrationspolitik.

"Ich wär gern eine r von uns" heißt das Buch, das am Montagabend in der rappelvollen Neuköllner Oper vorgestellt wurde. Der lesenswerte Band entstand auf Initiative der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Es präsentiert 14 Lebensgeschichten aus Deutschland. Nicht nur von Migranten, aber auch. Der Autor Nikol Ljubic stellt drei junge Dresdner vor, die von einem Ausbildungsplatz träumen. Die taz-Redakteurin Waltraud Schwab erzählt von zwei russlanddeutschen Aussiedlerinnen in Köpenick. Die Journalistin Judka Strittmatter hat eine Frau besucht, die wegen einer Erbkrankheit im Rollstuhl sitzt - und dennoch ein Kind bekam.

Der Romanautor Holger Siemann liest bei der Buchvorstellung sein Portrait eines türkischen Kioskbesitzers vor, der neben der Kranken-, Renten-, Rechtsschutz- und Glasbruchversicherung auch noch eine Haftpflicht hat. Die Lesung endet mit einem Zitat: "Ich bin schon ganz schön bisschen deutsch".

Der Name Thilo Sarrazin wird an diesem Abend nicht ein einziges Mal erwähnt. Dabei ist klar: Das Wowereit-Buch ist ein Anti-Sarrazin-Statement. Acht Monate sei intensiv daran gearbeitet worden, erzählt Franziska Richter, die neben Wowereit als Herausgeberin genannt wird, tatsächlich aber die Hauptarbeit geleistet hat. Vor acht Monaten wurde Sarrazins viel diskutiertes Anti-Integrations-Elaborat "Deutschland schafft sich ab" veröffentlicht. Wo der einstige Finanzsenator mit Hilfe statistischer Spielereien die Einwanderung der letzten Jahrzehnte pauschal als Fehler abtut, blickt "Ich wär gern eine r von uns" auf Einzelschicksale. Wo Sarrazin platte Rettungsfantasien wie "Mehr Kinder von den Klugen" auftischt, bietet das Wowereit-Buch: nichts. Eindimensionale Antworten sind nicht zu finden. "Wir haben so viel undifferenziertes Stammtischgelaber gehabt in den letzten Monaten", klagt Wowereit. Er hofft, dass "wir wieder zu einem differenzierten Blick kommen".

Genau da setzt das Buch an: Es geht um Teilhabe des Einzelnen an der Gesellschaft. Und was diese dafür tun könnte beziehungsweise dagegen tut. Nicht von ungefähr fällt in dem mit sozialdemokratischem Publikum gefüllten Raum gleich zweimal der Name Willy Brandt. Die Schullandschaft der 70er Jahre wird zum Sehnsuchtsort.

Die Durchlässigkeit der Gesellschaft sei "nicht sehr groß, eher rückläufig", sagt Wowereit. Deshalb müsse Bildungspolitik schon in der Krippe oder der Kindertagesstätte ansetzen, damit es auch künftig noch Erfolgsgeschichten gibt. Wie die des kleinen Klaus, der von seiner Lehrerin nur eine Realschulempfehlung bekam, weil seine alleinerziehende Mutter es sonst nicht packen würde. Der dennoch Regierender Bürgermeister wurde. Oder wie die von Gabriele Lösekrug-Möller, die auch in dem Buch vorgestellt wird. Sie schaffte es über selbstbestimmtes Lernen im zweiten Bildungsweg bis zum Sitz im Bundestag, wo sie sich heute mit Arbeits- und Sozialpolitik befasst. Für die SPD, versteht sich.

Fast schon laut wird Klaus Wowereit nach der Geschichte von Slaven, der als kleiner Junge mit seiner Familie aus Bosnien nach Berlin flüchtete. Heute arbeitet er als Ausbilder beim Berufsbildungswerk. Während seiner gesamten Jugend war seine Familie von Abschiebung bedroht. "Neun Jahre lang hatte ich keinen Kontakt zu Deutschen", erzählt Slaven bei der Diskussion über das Buch. "Integration war nicht erwünscht", erinnert Wowereit. Diese Politik habe selbst Bürgerkriegsflüchtlinge abschrecken sollen. "Das ist einfach falsch." Immer noch würden Asylverfahren bis zu zehn Jahre dauern. "Das ist völlig wahnsinnig", sagt der Regierende Bürgermeister. "Völlig inhuman" sei es, wenn nach all der Zeit eine Familie abgeschoben werde. Auch das von der rot-grünen Bundesregierung reformierte Staatsbürgerschaftsrecht, das 18-jährige Migranten zwinge, sich für den deutschen oder den Pass ihrer Eltern zu entscheiden, kritisiert Wowereit: "Wir haben das mitgemacht. Aber es ist daneben".

Ein paar Details gehen auch an diesem Abend daneben. Zwei schwungvolle Auftritte junger migrantischer Rapper bilden den Rahmen. Auf dem Podium aber sitzen die beiden Herausgeber und zwei der Autoren. Bis auf den Bosnier Slaven kommt niemand der Portraitierten zu Wort. Das Publikum ist wie die einladende Stiftung: SPD-nah, Frauen über 50, wie man sie bei einem Ortsvereinstreffen vermuten würde. Immerhin erleben sie hier etwas Neues. Eine Besucherin fragt schon beim Einlass: "Wenn ich nachher mit der U-Bahn zurückfahre, ist das nicht gefährlich, hier in Neukölln?"

Den Titel des Buches haben sich die Autoren von dem Streetart-Künstler Bronco geborgt. Der verziert den Berliner Stadtraum mit tapezierten Textbotschaften. Einige sind in dem Buch abgebildet. Bronco ist kein Sprayer. Graffiti-kritischen Konservativen dürfte es dennoch übel aufstoßen, dass Wowereit mit einem dieser Streetartisten zusammenarbeit. Dabei ist auch das nichts anderes als eine gelungene Form von kultureller Integration.

"Ich wär gern eine r von uns - Geschichten übers Ein- und Aufsteigen". Hrsgb.: Klaus Wowereit und Franziska Richter. Dietz-Verlag, 14,80 Euro

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10 Kommentare

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  • P
    Paul

    "Die Vorzüge einer multikulturellen Gesellschaft werden meist von einer gebildeten und wohlsituierten Mittelschicht gepriesen. Deren Angehörige aber werden durch die Gnade gespaltener Arbeits- und Wohnungsmärkte gerade davor bewahrt, in ihrem Alltag das zu praktizieren, was sie predigen."

    (Häußermann/Siebel: Stadtsoziologie. Eine Einführung, Campus)

    Wowi wohnt am feinsten Kudamm.

    Liebe taz - Redaktion, wieviele wohnen von Euch im Wedding? (Tip: keiner)

    Beim Autor tippe ich mal auf Prenzelberg, Nähe Senefelder Platz, schwäbisch-grüne Monokultur und wirklich, wer das nicht kennt, wird es nicht glauben, absolut kein (in Zahlen: 0) einziges Kopftuch an sieben Tagen in der Woche.

  • S
    skydiver

    Die Linken leben weiter an der Realität vorbei. Interessant ist die einseitige Wortwahl. Jeder weiß, das der Islam so lange tolerant ist, bis er an der Macht ist.

  • L
    lincoln

    Es gibt Migranten, deren Integration gelungen ist, aber es gibt auch Migranten, die sich nicht integrieren wollen.

    Anstatt offen über beide Gruppen zu diskutieren, wird wieder einmal über Sarrazin hergezogen und Wowi's rosa rote Brille gelobt.

    Dabei ist doch offensichtlich, dass Wowi von den Problemen der Stadt ablenken will, s. Problemkiez Neuköln, wo Buschkowski immer den Finger in die Wunde der nicht gelungenen Integration legt.

    Wowi lebt in einer rosaroten Erdbeerwelt und sieht die Probleme der Stadt nicht.

    Die Quittung für die verfehlte Haushaltspolitik wird wohl der Stabirat in seiner nächsten Sitzung Berlin verpassen, und dann heist es sparen, das die Schwarte kracht! Dann fehlen die Mittel an allen Ecken und Enden.

  • F
    fidel

    Na, Hans

    Meinungsvielfalt ist deine Sache nicht.

  • KL
    karl lauterbach

    Sarrazins Pamphlet - Wowereits Buch. Wenn Euch eine Meinung nicht gefällt, wird der Autor als unseriös oder "rassistisch" dargestellt. Im Grunde ist das, was Ihr macht: nicht objektiv und undemokratisch. Ihr entlarvt Euch auf diese Weise.

  • H
    HAL

    @Hans: Ich freue mich sooo für Sie, daß Sie das gut finden! Aber beantworten Sie doch einfach die Fragen der Trollgemeinde...

  • H
    Hans

    endlich mal wieder eine sympathische aktion von wowereit. selbst wenn er nix dazu beigetragen hat, wird dem buch durch seine quasi-urheberschaft eine aufmerksamkeit zuteil, die es sonst wohl nicht gehabt hätte. und das finde ich gut.

     

    schade, dass solche artikel gleich wieder der üblichen trollgemeinde als spielzimmer dienen.

    es langweilt einfach, immer wieder dieselben statements von leuten zu hören,

    die sonst nix besseres zu tun haben, als die luft zu verpesten.

  • H
    HAL

    Die Einseitigkeit Ihrer Berichterstattung ist unerträglich.

    Warum wird Sarrazins Buch als Pamphlet bezeichnet? Warum werden seine Lösungsansätze eindimensional und verkürzt wiedergegeben?

    Warum wird - schon wieder - weggesehen und schöngeredet?

    Daß es genug Beispiele gelungener Integration gibt, wissen wir doch längst. Daß es um die nicht geht, sollte sich inzwischen auch herumgesprochen haben. Das gebetsmühlenartige Benennen dieser Bevölkerungsgruppe durch den politisch-medialen Komplex ist grotesk und verlogen.

  • H
    Helyes

    Einige Fragen hätte ich doch zum Theme Integration:

     

    Warum werden in Deutschland Moscheen gebaut und in der Türkei im Gegenzug der Bau von Kirchen verboten, bzw. sogar Renovierungen verboten ?

     

    Warum werden Christen in der Türkei verfolgt und getötet ?

     

    Warum wird von der Politik so getan, als ob es keine Probleme und Ängste bei Deutschen vor einer Islamisierung gibt ?

     

    Warum wird von der deutschen Politik hingenomen, was Herr Erdogan bei seinem Besuch hier geäußert hat ?

     

    Und wieso wird immer wieder behauptet, dass der Islam eine friedliche Religion sein ?

     

    Ich hätte da noch mehr Fragen, aber ich wäre schon froh, wenn sich Herr Wowereit sich dazu äußern würde.

  • H
    Hatem

    Frage: "Wenn Sie Kinder hätten, würden Sie die auf eine Schule in Kreuzberg schicken?"

     

    Wowereit: "Nein. Ich kann auch jeden verstehen, der sagt, dass er da seine Kinder nicht hinschickt."

     

    Klaus Wowereit auf N24, Dezember 2006