Ein Brief an einige Leser:innen (2) : Schlechte Zeit für Meinungsvielfalt?

Wir bekommen viel Lob für unsere Corona-Berichterstattung – aber auch Kritik. Wir versuchen, auf einiges zu antworten. Diesmal: Pluralität von Meinungen.

T-Rex ist ausgestorben und deshalb immun gegen Covid-19 – Szene einer Demo von Gegnern der Corona-Prävention in Berlin Bild: dpa

Von NINA APIN

Zwei tazlerInnen, drei Meinungen heißt es ja sonst gern scherzhaft. Bei einigen Reizthemen wie Asyl- oder Nahostpolitik sind es oft auch nur zwei Lager, die sich gegenüberstehen.

Die Härte und bisweilen Unversöhnlichkeit, mit der diese Auseinandersetzungen ausgetragen werden, ist nicht immer schön. Doch wie belebend unsere traditionelle Meinungsfreude ist, das merkt man erst, wenn sie fehlt.

Monat zwei der Corona-Pandemie und in den Redaktionsfluren ist es still. Nicht nur, weil kaum noch Kolleg:innen im Haus sind und sich die anderen per Videoschalte oder Chat von zu Hause aus zuschalten. Und schon gar nicht, weil irgendwelche Hemmungen oder eine plötzlich erwachte Ehrfurcht vor der Exekutive irgendwem verböten, sich abweichend zu äußern. 

Schlechte Zeiten für die Meinungsvielfalt

Es ist vor allem so, dass innerhalb der Reaktion weitgehend Einigkeit besteht: Ja, es war vernünftig, das öffentliche Leben weitgehend lahmzulegen. Ja, es ist richtig, sich als EinzelneR an die Abstands-und Hygieneregeln zu halten. Und nein, niemand stellt grundsätzlich die Gefährlichkeit des Coronavirus in Frage, die Kompetenz von Virolog:innen oder die Hilfen für Firmen und Selbständige.

Schlechte Zeiten für die Meinungsvielfalt – Merkel erklärt dies, die Regierung einigt sich auf jenes, alle sind irgendwie dafür. Und täglich warnt das Robert-Koch-Institut, das erst eine zu steile Verlaufskurve, dann einen zu hohen R-Faktor und jetzt, nachdem die ersten beiden Szenarien nicht eingetreten sind, eine zweite Welle der Pandemie befürchtet.

Die taz geht in die Auseinandersetzung mit ihren Leser:innen zur Corona-Berichterstattung. Denn Streit muss sein, schreibt Chefredakteurin Barbara Junge in ihrem Editorial im taz Hausblog:  ➡︎ taz.de/hausblog

Hätten wir nicht aber zumindest diese auf die wechselnden Empfehlungen gegründeten „Bocksprünge der Politik“ geißeln sollen, statt sie nur abzubilden, wie ein Leser meinte?

Vielleicht – aber dann würden wir so tun, als hätten wir von Anfang an besser gewusst, auf welche Zahl zu achten wäre. Das aber wäre Quatsch – und auch der Politik und der Virologie muss man in dieser Situation eine gewisse Lernkurve zugestehen.

„Mainstream der Angst“

Nein, wir haben nicht die Haare auf den Zähnen verloren – aber es kann sein, dass das Selbstgewisse, der aus der Position des Bescheidwissens heraus formulierte Tonfall aus vielen taz-Texten gewichen ist. Einige finden das befremdlich. Ja, vielleicht schwimmen wir sogar bisweilen mit in einem „Mainstream der Angst“, wie ein Leserbriefschreiber kürzlich diagnostizierte.

Und interviewen lieber Karl Lauterbach, demzufolge das Virus noch bis 2022 unser Leben bestimmen wird als Armin Laschet, der schnell zur Normalität zurückkehren möchte. Warum? Weil wir uns, wie derselbe Leser provokativ fragt, neuerdings der Angst mehr verpflichtet fühlen als dem sogenannten gesunden Menschenverstand?

Ja, wir haben in unserer Redaktion durchaus Menschen, die Angst haben – was sich in dieser Situation mit dem gesunden Menschenverstand aber durchaus decken kann. Es gibt Kolleg:innen, die an Virologen-Podcasts und aktuellen Infiziertenzahlen hängen und daraus täglich die düstersten Prognosen ableiten.

Abwägen der Prioritäten

Wir haben aber auch Kolleg:innen, die sich zunehmend darüber ärgern, dass die Demonstrationsfreiheit eingeschränkt ist, dass im Bundestag nicht über die Grundrente debattiert wird, weil es jetzt angeblich Wichtigeres gibt. Oder die nicht verstehen, warum Corona es rechtfertigt, das ganze Land lahm zu legen, während die noch viel bedrohlichere Klimakatastrophe bislang angeblich ganz schwer zu bekämpfen war.

Tobias Schulze aus dem Inland platzte neulich der Kragen, als Merkel pauschal Lockerungen für „zu forsch“ befand. Demonstrationen wieder zulassen? Kinder zurück an die Klettergerüste? Was bitte ist da forsch? Und sowohl Bettina Gaus als auch unser Brüssel-Korrespondent Eric Bonse halten die Maskenpflicht in ihrer deutschen Ausgestaltung für hirnrissig.

Die Angst hat uns also keineswegs übermannt. Der Debattenbeitrag des Philosophen Arnd Pollmann, der Zweifel an der Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseinschränkungen äußerte, sprach denn auch vielen aus der Seele.

Sie schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2007 bis 2015 war sie Redakteurin im Berlin-Teil. Seit Januar 2016 leitet sie das Meinungsressort der taz.

Was wir gerne beherzigen: Den Rat eines Lesers, der von uns fordert, nicht einfach zu schreiben, „was man denkt, dass ein Großteil der Stamm-Leser hören will. Sondern dass man seine Leser auch zum Denken anregt und herausfordert“. Die Leserinnen natürlich auch.

Wie zufrieden sind Sie als Leser:in, Genoss:in und Abonnent:in mit der Corona-Berichterstattung der taz? Schreiben Sie uns!

• Per Mail: briefe@taz.de

• Per Post: taz die Tageszeitung, Redaktion Leser:innenbriefe, Friedrichstr. 21, 10969 Berlin

Von „Zahlendreher“ bis „Gut recherchiert“ – so kommentieren derzeit Leser:innen unsere Corona-Berichterstattung. Eine Auswahl von Stimmen seit dem 25.04.2020:

 

• „Gut recherchiert“

Zu „Warum Covid-19 tötet“, taz vom 29.04.20

Die Katastrophe ist nicht das Virus, sondern wie wir weltweit damit umgehen. Da helfen die gut recherchierten Zahlen von Heike Haarhoff, um etwas entspannter mit dem Irrsinn der Über- als auch Untertreibung umzugehen. Die viel größeren Probleme, die wir als Menschheit haben, Kriege, Klima-, Bildungskatastrophe, atomare und chemische Verseuchung, unerträgliche soziale Ungerechtigkeit, werden nicht mit der notwendigen Vehemenz angegangen. Wir müssen jetzt ernsthaft zu sozialeren, nachhaltigeren und lebensfreundlicheren Gesellschaftsformen kommen, sonst wird es wirklich eng für uns.

Wolfgang Wedel, Nürnberg

 

• „Kritisch hinterfragen“

Zu „Mutiert die taz zum Regierungsblatt?“, taz vom 25.04.20

Wenn die Regierung in der Krise Dinge gut macht, dann muss man auch nicht aus purem Trotz widersprechen und kann sogar durchaus auch mal loben. Verschwörungstheorien und Fake News werden zur Zeit genug verbreitet, das muss und soll die taz nicht unterstützen. Was mir aber fehlt und wo die taz nach meinem Empfinden in den letzten Wochen sehr stark nachgelassen hat, ist das kritische ergebnisoffene Hinterfragen und der Blick auf die langfristigen Folgen der jetzt diskutierten und umgesetzten Maßnahmen.

Nikolaus Marbach, Berlin

 

• „Wunsch erfüllt!“

Zu „Schluss mit Luxus!“, taz vom 27.4.20

Auch ich hätte mir manch anderen Beitrag gewünscht. Die Überraschung kam jetzt prompt: die beiden Interviews mit Hartmut Rosa und Niko Paech. Das ist kein Mainstream, und wenn’s so weitergeht, dürfte sich der Streit erledigt haben. Ja, es war Mainstream, dass die taz kaum Kritik geübt hat am Handeln der Bundesregierung und der Kanzlerin. Aber die taz dann gleich mit der Bild zu vergleichen?

Dieter Stompe, Erfurt

 

• „Macht weiter so!“

Zu „Mutiert die taz zum Regierungsblatt?“, taz vom 25.04.20

Immer wieder gab es in der taz Artikel, bei denen ich dachte: Wow, gut geschrieben, überzeugender Artikel, auch wenn es vielleicht manchen der taz-Stammleserschaft erst mal vor den Kopf stoßen wird. Aber ich finde, es sollte selbstverständlich sein, dass nicht einfach geschrieben wird, was man denkt, dass ein Großteil der Stammleser hören will, sondern dass man seine Leser auch zum Denken anregt und herausfordert.

Thorsten Zoller, Freiburg

 

• „Kritik ist keine Pose“

Zu „Mutiert die taz zum Regierungsblatt?“, taz vom 25.04.20

Ihre Coronaberichterstattung schätze ich sehr. Die Reportagen aus Italien sind mir  im Gedächtnis geblieben, aber auch viele andere Artikel, die zu meiner Urteilsbildung beitragen. Die Einschätzung von Malte Kreutzfeldt und Ulrich Schulte, dass Kritik keine Pose werden darf, mit der in jedem Fall und ungeprüft von einem Mainstream abzuweichen ist, teile ich mit voller Überzeugung.

Theresia Wintergerst, Würzburg

 

• „Zahlendreher“

Betr.: Statistiken in der taz

Liebe tazler, die täglichen Statistikzahlen über den drastischen Anstieg der Corona­infizierten in Deutschland führen ohne die Bezugsgröße der wachsenden Anzahl von Tests völlig in die Irre. Wenn an einem Tag 50.000 Tests durchgeführt werden, am nächsten jedoch die doppelte Anzahl, dann erhöht sich die Zahl der gefunden Infektionen bei der vorliegenden Dunkelziffer der Gesamtinfektionen in Deutschland natürlich drastisch. Unser Eindruck ist leider, dass der uns allen so wichtige kritische Journalismus in Coronazeiten bei der taz verloren gegangen ist. Ist denn bei euch niemand, dem dieser Sachverhalt aufgefallen ist? Mainstreamnachrichten können wir auch dem Fernsehen und der Bild-Zeitung entnehmen.

Hans Ulrich Kopp, Renate Kopp, Ferdinand Schineis, Bernhardswald, Wolfsegg

 

• „Danke, taz“

Liebe taz-Redaktion, gerade in dieser Krisensituation schätze ich euch besonders. Die Berichte sind umso ergreifender, weil wir hier selbst betroffen sind, nicht irgendwo weit weg. Wo Kritik an der Regierung angebracht ist, schreibt ihr sie, wo Lob angebracht ist, schreibt ihr es. Die Groko macht gerade vieles richtig und das darf dann auch in der taz geschrieben werden. In der Diskussion, was kommt nach Corona, mit den Themen „Klimawandel“, „Wirtschaft“, „Globalisierung“ fühle ich mich bei der taz gut aufgehoben. Natürlich gibt es auch Ausgaben,die ich nicht so gelungen sehe.  Und auch deswegen bin ich taz-Leser, weil ihr mit Kritik offen umgeht, mit uns in Kontakt geht. Danke für eure tolle Arbeit; besonders gerade jetzt.

Günther Mrowietz, Reutlingen