Ein Bezirk rückt ins Rampenlicht

■ Serie: Berlin vor den Kommunalwahlen (Teil 23)/ Friedrichshain kämpft mit den typischen Problemen eines Ost-Bezirks: leere Wohnungen und Arbeitslosigkeit/ SPD verzeichnet Abgänge

Friedrichshain. Ost-Bezirke haben es schwer. Nicht nur, was ihr wirtschaftliches Überleben angeht. Auch im öffentlichen Leben, zumal dem westlichen, sind sie kaum bekannt. Eine rühmliche Ausnahme bildet der Friedrichshain. Schon kurz nach der Vereinigung geriet der Nachbar Kreuzbergs durch die Räumung der Mainzer Straße in die Schlagzeilen. Und wie in diesem Beispiel war es die Politik des Senats, die den Bezirk unfreiwillig in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit rückte. Letztes Beispiel: die wochenlange Posse um den Abbau des Lenin-Denkmales.

Verkehrsampeln statt Denkmäler

Einer, der sich auch aus bezirklicher Seite dafür stark gemacht hatte, ist Gerd Hannemann. Der Diplom-Ingenieur, Baustadtrat und Spitzenkandidat der CDU, gehört neben Bürgermeister Helios Mendiburu (SPD) zu den wenigen profilierten Bezirkspolitikern aus dem Osten. Gleich drei Abwahlanträge überstand der 52jährige in der BVV. Die damals erhobenen Vorwürfe, sich nicht genügend für den Bezirk eingesetzt zu haben und nichts gegen den Leerstand von rund 5.000 Wohnungen getan zu haben, perlen heute gelassen an ihm ab. Statt dessen verweist er — ganz im Wahlkampftenor — lieber auf seine Erfolge: »Kein Bezirk hat so viele Ampeln für die Schulwegsicherung bekommen wie wir — ausgehandelt habe ich das.« Und dann fährt er fort, auf die eine Million Mark zu verweisen, die zusätzlich für Spielplätze ausgegeben wurden. Sein Vorwurf an die BVV, daß »zu viel Zeit mit profilneurotischem Gebaren« vertan worden sei, könnte Hannemann auch auf sich selbst beziehen.

Stadtbekannt wurde er durch seine Berufung in jene vom Senat eingerichtete Kommission, die über das Fortbestehen sozialistischer Denkmäler entscheiden soll. Auch sonst zeigt Hannemann, der mit 18 Jahren in die Blockflöten-CDU der DDR eintrat, seine eigene Art von »Profil«. Gegen den Willen der BVV will er über die Oberbaumbrücke »alle Verkehre« leiten. Von einer Sperrung für den Autoverkehr hält er wenig: »Das wäre eine Friedrichshain-feindliche und Kreuzberg- freundliche Haltung«. Durch »begleitende Maßnahmen« müsse der Innenstadtverkehr »fließend« gehalten werden. Denn: »Ich muß doch auch in Zukunft Leuten im Innenstadtbereich ermöglichen, sich ein Auto zu kaufen.«

Der Unmut, den Hannemann in der BVV auf sich gezogen hatte, spaltete im vergangenen Jahr die SPD. Sieben Abgeordnete, die allesamt aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung stammten, gingen die Eskapaden von Hannemann zu weit. Ihrer Partei warfen sie zu starke Rücksichtnahme gegenüber den Interessen des Koalitionspartners CDU vor. Schließlich gründeten sie mit den »Unabhängigen Bürgern Friedrichshain« (UBF) ihre eigene Fraktion. Eine der Abtrünnigen, Kerstin Anger, hält im Rückblick die Erfahrungen in der BVV für »interessant und lehrreich«. Wie der Rest der UBF will jedoch auch sie nicht mehr kandidieren: »Wenn man aus der Bürgerrechtsbewegung kommt, kann man nicht verstehen, daß es in der BVV nur noch um Verfahrensfragen oder um die eigene Karriere im Bezirksamt geht.«

Stadtsanierung statt City-Ring

Den Vorwurf der CDU-Hörigkeit weist Bürgermeister Mendiburu (SPD) selbstverständlich weit von sich. In einer Koalition müsse man »einige Dinge auf einen Nenner bringen«. Der CDU wirft er vor, sich manchmal wie »eine Blockflöte der West-CDU« zu verhalten. Er wisse auch, daß die Schließung des Innenstadtringes Koalitionsvereinbarung sei, aber »wenn man sich geirrt hat, dann soll man das auch zugeben und entsprechend handeln. Deshalb sei er — im Gegensatz zu Hannemann und seiner CDU — gegen den Innenstadtring.

Ein anderes Beispiel ist für den 56jährigen Mendiburu das Thema »behutsame Stadtsanierung«, wie sie im Samariterviertel geplant ist. Zwar sei die CDU auch dafür, aber »wenn es darum geht, die Bürger mit einzubeziehen, dann macht sie einen Rückzieher — ich weiß nicht, ob das ihr Gehorsam aus alten Tagen ist«. Mendiburu, dem von allen Fraktionen eine ausgleichende Art bescheinigt wird, glaubt, daß seine Partei »tiefgründiger auf die sozialen Probleme eingeht und das auch bewußt macht«. Dazu gehört für ihn auch der rethorische Angriff auf Helmut Kohl, dem er »Betrug auf Bundesebene« vorwirft. Die Einheit sei in einer Art und Weise durchgezogen worden, die »Ex-DDR-Bürger vor den Kopf stoßen muß«. Als Beispiel nennt er die Arbeit der Treuhand, die »in letzter Instanz ein Organ von Waigel (Bundesfinanzminister; d.Red.) ist, was wir den Leuten auch immer wieder sagen«.

Industriestandort statt Olympia

Schließlich sei es die Treuhand gewesen, die den einstigen DDR-Glühlampen-Hersteller NARVA abwickelte und das Gelände einem privaten Investor verkaufte. »Wir sehen, wie bei uns Arbeitsplätze kaputtgemacht werden und sich die Spekulanten breitmachen«, erklärt Mendiburu wütend. Nicht jede Industrieart müsse erhalten werden, aber »der Industriestandort Friedrichshain an sich«. Angesichts der Fülle der Probleme — Wohnraum, Verkehr, Vernichtung von Industrie und steigender Arbeitslosigkeit (nach Schätzungen der Bündnis 90/Grüne-Fraktion liegt sie im Bezirk bei rund 16 Prozent) hält er auch nichts von Olympiaplanungen, in die sein Bezirk an der Stralauer Halbinsel miteinbezogen ist: »Bei den gegenwärtigen Sorgen brauche ich mich mit der Bevölkerung nicht über Olympia unterhalten«.

Weit wichtiger ist für ihn die ausstehende Verwaltungsreform. Die Bezirke bräuchten dringend mehr Kompetenzen. Den Bau einer Kindertagesstätte sollte der Senat zukünftig der Kommune überlassen, und sich statt dessen »ministeriellen Aufgaben widmen«.

Dieter Hildebrandt, Spitzenkandidat der PDS, wirft dem Bezirksamt in der Industriepolitik Untätigkeit vor: »Geschrieen wird erst, wenn wieder ein Kind in den Brunnen gefallen ist«. Statt auf das Konzept »Die Marktwirtschaft wird's schon richten« zu setzen, sollte Druck für kommunale Beschäftigungsgesellschaften gemacht werden. Hildebrandt, der »ganz selbstbewußt auf die letzten 40 Jahre DDR« zurückblickt, merkt süffisant an, daß Mendiburu die »größten Erfolge im Kampf zum Erhalt der Kitas hat — und die stammen aus der DDR«.

Als einen »Puffer« zwischen SPD und PDS betrachtet sich die Fraktion Bündnis 90/Grüne. Deren Spitzenkandidatin Marianne Tietze hält vieles für vernünftig, was die PDS einbringt, wären da nicht die »moralischen Probleme« mit der alten SED- Vergangenheit. Im Gegensatz zu PDS, SPD und CDU glaubt sie, daß in ihrer Partei »nicht alles so sehr auf den Wahlkampf ausgerichtet ist«. In der Ablehnung des Innenstadtrings interessiere sie nicht, »ob wir nun gegenüber der letzten Wahl Punkte verlieren«. Das Profil ihrer Partei sieht sie in der Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung: »nicht nur bei Sanierungsfragen, sondern generell«. Ansonsten hat Tietze in diesem Kommunalwahlkampf eine Erfahrung gemacht, die sie mit den Spitzenkandidaten anderer Parteien teilt: »Mich hat verwundert, wie sehr die Bevölkerung von bundespolitischen Themen oder der Stolpe-Geschichte berührt wird. Ich dachte bisher, die Menschen seien mehr in ihrem Bezirk verwurzelt und stellen auch dementsprechend Fragen.« Severin Weiland

Die Serie endet am Freitag mit Weißensee