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Ein Aufstand gegen die 50jährigen

■ Heftige Kontroversen auf dem Parteitag der CDU/ Der Parteispitze entgleitet die Regie

Berlin. Der 26 Jahre junge Bezirksverordnete aus Wilmersdorf, Rupert Reinhardt, gerät ganz aus dem Häuschen. »Denen entgleitet die ganze Regie«, frohlockt er, als Hanna-Renate Laurien vom Podium aus mit Bedauern im Ton verkünden muß, daß der Vorstandskandidat und Bundestagsabgeordnete Dankward Buwitt nicht die erforderliche Stimmenzahl erreicht hat.

Nach Appellen von Laurien und Klaus Landowsky wird Buwitt im zweiten Wahlgang zwar doch noch gewählt. Buwitts anfängliche Niederlage bleibt jedoch nicht der letzte Zwischenfall, der die gewöhnlich wohl vorbereitete Parteitagsdramaturgie durcheinanderwirbelt. Schon die Aussprache nach den Reden von Eberhard Diepgen und Klaus Landowsky ist von seltener Offenheit. Die Partei gebe den Wählern keine Orientierung, stecke in der »Klemme und Sackgasse«, mosert etwa der Zehlendorfer Hans-Jürgen Buschmann. »Wo war die Selbstkritik an unserer Blockparteivergangenheit«, fragt der junge Reinhardt in einer furiosen Rede und treibt die Majestätsbeleidigung schließlich auf den Gipfel, als er offen ausspricht, was in Wahrheit alle wissen. »Diese Partei wird beherrscht von einer Clique, von einer Seilschaft von Leuten, die sich in den 60er Jahren beim Jurastudium an der FU getroffen haben«, sagt er mit Blick auf die Gruppe um Diepgen, Landowsky und den Bundestagsabgeordneten Peter Kittelmann.

Reinhardts Rede geht in Buhrufen unter. Scharf wendet sich Landowsky gegen das »unerträgliche Gequatsche« des Wilmersdorfer Abgeordneten Jürgen Adler, dessen Satz »Der blasse Eberhard muß weg« für Furore gesorgt hatte. Folgsam schmettern die Delegierten den Antrag der Wilmersdorfer CDU ab, Eberhard Diepgen im Interesse eines schärferen Parteiprofils das Amt des Landesvorsitzenden zu entziehen. Nur 25 der 390 Delegierten heben dafür die Hand.

Das wichtigste Argument gegen eine Trennung der Ämter formuliert der ehemalige Verteidigungsminister Rupert Scholz: »Die Öffentlichkeit würde sagen, die CDU hat ihren eigenen Spitzenkandidaten demontiert.« Diesem pragmatischen Argument können sich die Delegierten nicht verschließen. Unzufriedenheit und Unsicherheit sind trotzdem weit verbreitet. Der Diepgen-Freund Kittelmann wird mit nur 55 Prozent der Stimmen im Landesvorstand bestätigt. Ausgerechnet Umweltsenator Volker Hassemer erzielt dagegen mit 78 Prozent das zweitbeste Ergebnis aller Landesvorständler — obwohl er bei seiner Vorstellung mit maliziösem Lächeln hervorgehoben hatte, daß er dem Kreisverband Wilmersdorf entstamme.

Zur Großen Koalition mit der SPD gebe es »keine Alternative«, mahnen sowohl Diepgen wie Landowsky. Doch am meisten schwillt der Beifall dann, wenn die Redner auf dem Podium ankündigen, bei den Bezirkswahlen am 24. Mai mit der »rot-grünen Sabotagepolitik« der SPD in den Bezirken aufzuräumen. Und als sich Landowsky SPD-Bausenator Wolfgang Nagel vornimmt (»Der arme Mann leidet unter intellektuellem Durchfall«) — da bekommt er sogar Lob aus Wilmersdorf.

»Ja, dieser Parteitag ist sehr lebendig«, stöhnt Generalsekretär Karl- Joachim Kierey. Nach Landowskys Willen sollte es ein »Parteitag des Aufbruchs« werden. Doch über politische Inhalte wird kaum diskutiert. Die Kontrahenten traktieren sich lieber mit Vorwürfen über Beitrittsrückstände ihrer jeweiligen Parteigliederungen. Nicht mit politischen Argumenten, sondern mit unklaren Vorwürfen über »Abhängigkeiten von finanziellen Interessen« wird der Kandidat der Jungen Union für den Landesvorstand, Daniel Dormann, aus dem Rennen geschlagen. Da der Reinickendorfer Abgeordnete Diethard Schütze diese Vorwürfe erst auf dem Parteitag selbst publik macht, gebe es für Dormann »überhaupt keine faire Chance« sich zu wehren, gibt Kierey zu bedenken. Doch die Parteiführung läßt es auch zu, daß mit Joachim Jetschmann ein Vertreter der Sozialausschüsse die Chance zur Gegenkandidatur nutzt und sich gegen Dormann durchsetzt.

Es paßt ins Bild, daß hinter den Reinickendorfer Attacken auf Dormann und der Buwitt-Niederlage niemand irgendwelche politische Kontroversen vermutet. Stattdessen ist die Rede von Intrigen eines anderen Jungunionisten, oder davon, daß eine neue Generation von 40jährigen um Schütze den Aufstand gegen die herrschenden Fünfziger probe. Zu denen gehört auch Eberhard Diepgen — seit ihm am Mittwoch alle ehrerbietig zum 50. Geburtstag gratulierten. Hans-Martin Tillack

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