■ Zwischen „Konzertaula“ und „Krümel“: Ein Abend in Kamen (mit Carmen)
Treffen sich zwei Autobahnen – und zwar wo? In Kamen. Der kleine Ort im Westfälischen (Population: knapp 50.000) bezieht seine bundesweite Beliebtheit vornehmlich aus Radiomeldungen zur Verkehrslage; seine BewohnerInnen stehen indes höchst ungern im Stau, sondern lieber an Tresen, Theken, hohen Tischen in den hübschen Kneipen rund um den Marktplatz. Dort begegnet diesen aufgeschlossenen Menschen ab und an die große Welt. Die ist üblicherweise irgendwo weit draußen und brettert gelegentlich über die A1 oder A2, um wo anzukommen? Jawohl, in Kamen.
Kamen hat aber nicht nur Autobahnanschluß, sondern auch ein Theater, das „Konzertaula“ heißt (weil da eben auch Konzerte... na, egal). In der Aula sind regelmäßig Tournee-Ensembles zu Gast. Diese Leute haben nach ihren Auftritten meist keine Kraft mehr, Kamen zu verlassen – aber auch keine Lust, denn der Herr vom Kulturamt hat ihnen von besagten Kneipen erzählt. Also ziehen sie los und gucken mal, was „man“ in Kamen denn abends noch anstellen kann. Und das ist so einiges. Wichtig ist halt, die Grenzen zu kennen. Da war einmal ein gelackter Schauspieler, bekannt vom „Traumschiff“, der eine junge Frau heftig umflirtete. Ihr Freund kriegte es mit. Ein selbstsicher vorgetragener Hinweis auf prominente Identität nutzte dem balzenden Beau herzlich wenig; immerhin erreichte er rechtzeitig die Tür.
Was haben wir geschmunzelt über diesen Vorfall: Hehe, kommt so einer und hält sich für etwas Besonderes! Von wegen! Zum Glück gibt's solche und solche. Vater Schildknecht, der ist anders: Schauspieler Raimund Gensel, ehedem Lehrer, Maler, Säufer in der „Lindenstraße“ und dort längst Inhaber einer Gruft, wirkte im Stück „Loriots dramatische Werke“ mit. Als der Vorhang sich geschlossen hatte, lief Gensel in die Kamener Innenstadt, machte Station im „Krümel“, entsorgte souverän ein paar Gläser Bier und gab ein Autogramm, unauffällig, bescheiden, sympathisch und sogar recht glücklich, daß ihn ein Fan erkannt hatte. Es wird gemunkelt, bevor er anderntags die Stadt verließ, konnte er nur knapp einer Einbürgerung entgehen.
So weit kam es im Fall Carmen nicht. Gewiß – rein phonetisch hätte diese Künstlerin schon ordentlich punkten können, Carmen, Kamen, hübsch. Es war spät, als sie das Lokal betrat, etwas zu trinken bestellte und gleich wieder hinausrannte zur Telefonzelle. So ging das ein paar dutzendmal. Ihre kurzfristigen Aufenthalte an unserem Tisch versüßte uns Carmen mit fragmentarischen Schilderungen ihres Alltags als „Darstellerin“ („irrer Streß“ etc. pp.), Sekunden darauf war sie verschwunden zum Fernsprecher, „sicher telefoniert sie mit den USA“, vermuteten wir – die Zeitverschiebung: Nachmittag am Big Apple. In Wirklichkeit war es nach Mitternacht am Kamener Kreuz; Carmens Kollegen – mit VW-Bus und Handy unterwegs – hatten sich verfranst. Übrigens, sie waren auch keine mächtigen Produzenten wie von uns erhofft, vielmehr PPAs. Pornoproduktionsassistenten. Und so war Carmen wohl auch gar nicht die „Effi Briest“ an jenem Abend in der Konzertaula.
Wir sind gespannt, wer als nächstes kommt. Bodenständiges ist uns am liebsten. Herr Grönebaum, bzw. Egon Kling – wo stecken Sie gerade? Andreas Milk
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