■ Bonn apart: Eher den Kanzler abschaffen als die Mark
Kommt alles, alles wieder? Die TV-Nachrichten zeigen Aufmärsche Hunderttausender wütender Menschen im Bonner Hofgarten oder auf dem Berliner Schloßplatz. Bürgerbüros überall im Lande organisieren Menschenketten von der Frankfurter Bundesbank zum Europaparlament in Brüssel. Kurz: Ein Riß geht quer durch die Gesellschaft, das Volk begehrt auf gegen seine Politiker. Wir sind im Jahr 1999. Anders als Anfang der 80er Jahre richtet sich der Protest diesmal nicht gegen Nachrüstungsbeschluß und Mittelstreckenraketen, sondern gegen eine geldpolitische Entscheidung: Der Aufstand soll die Abschaffung der D-Mark verhindern.
Umgetrieben von solchen Zukunftsvisionen wird der Berliner Zeitgeschichtler und Publizist Arnulf Baring. In dieser Woche war er nach Bonn gereist, um das vor sich hindämmernde Regierungszentrum mit drastischen Worten aus dem Tiefschlaf zu schrecken: Das Verschwinden der D-Mark in einer Europäischen Währungsunion könne gar nicht gut gehen. Der Abschied von der identitätsstiftenden eigenen Währung werde die Deutschen weit mehr verunsichern und erregen als vor Jahren die Nachrüstungsdebatte. „Das war ein Klacks gegenüber der Abschaffung der D-Mark.“
Baring nutzte eine Buchvorstellung des Parteienkritikers Hans Herbert von Arnim, um seine Zweifel unter die Leute zu bringen, „ob diese Republik denn tatsächlich wetterfest ist“. Das Selbstbewußtsein der Deutschen gründe eben größtenteils in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Die harte Währung will Baring deshalb behalten und „eher die Fahne und die Hauptstadt und den Kanzler abschaffen als die D-Mark“.
Weitgehend unkontrollierte Selbstbedienung aus dem Staatsetat wirft Arnim in seinem überarbeiteten Buch („Die Partei, der Abgeordnete und das Geld“) den Politikern vor. Für Laudator Baring ist der Streit um die Diäten „ein Zeichen dafür, wie sehr das Parlament die Bodenhaftung verloren hat“. Wo Arnim mit Kolonnen von Zahlen und Tabellen seine harten Vorwürfe zu belegen sucht, zeigt der Historiker aus Berlin eher Nachsicht mit den gescholtenen Volksvertretern: „Fleißig sind sie, aber im Grunde spielen sie die Rolle überhaupt nicht, die sie in diesem Lande spielen sollten.“
Wie die Bezieher von Diäten leben nach Barings Meinung auch die meisten Deutschen seit langem über ihre Verhältnisse. Insofern seien sie doch wahre Vertreter ihres Volkes. Hans Monath
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen