Ehemaliger US-Präsidentenberater zum Iran: "Sanktionen ändern nichts"
Gary Sick, ehemals US-Präsidentenberater, lobt die Außenpolitik von Obama, räumt Fehler in der Vergangenheit ein und glaubt: Iran will die Bombe. An einen Angriff Israels auf den Iran glaubt er nicht.
taz: Herr Sick, Außenministerin Hillary Clinton will "Sanktionen, die beißen" gegen den Iran. Was halten Sie davon?
Gary Sick: Politisch ist es attraktiv zu sagen: Wir stoppen die Iraner. Aber es ist eine ganz andere Sache, das auch tatsächlich umzusetzen. Ich kenne niemanden in Washington, der glaubt, dass Sanktionen unter den gegenwärtigen Umständen die iranische Politik ändern könnten.
Soll das heißen, dass die USA gegenüber dem Iran ein zahnloser Tiger sind?
Ich halte die Drohung mit Sanktionen für effizienter als die Sanktionen selbst. Sanktionen sind eine Strafe. Und Sanktionen sind zugleich ein Mittel für Verhandlungen.
Es gibt in Washington eine Menge Leute, die sehr beunruhigt sind, dass Israel eine unilaterale Attacke gegen den Iran unternehmen könnte. Teilen Sie diese Sorge?
Ich glaube nicht, dass die Gefahr eines israelischen Angriffs gegen den Iran besonders groß ist. Denn der israelischen Spitze ist klar, dass das zu einer Katastrophe führen würde. Aber die Israelis erhalten ihre Drohung aufrecht. Sie kann nützlich sein, um Unterstützung in Europa und in den USA zu bekommen. Zum Beispiel für härtere Sanktionen.
Wir sprechen also - sowohl bei Sanktionen als auch bei militärischen Schlägen - über zwei Drohungen, die beide nicht realistisch sind?
Ja.
Hat Israel die strategische Fähigkeit, den Iran allein anzugreifen?
Israel könnte den Iran zumindest einmal treffen. Aber damit wäre noch lange nicht die komplette iranische Infrastruktur zerstört. Israel spricht seit zehn Jahren davon, den Iran zu bombardieren. Und der Iran hat diese Zeit genutzt, seine nuklearen Einrichtungen zu verteilen, seine Luftverteidigung auszubauen und unterirdische Installationen zu bauen. Außerdem ist der Iran weit. Israel müsste über Saudi-Arabien, Jordanien oder den Irak fliegen - was im Wesentlichen ein amerikanischer Luftraum ist - oder über die Türkei. Das könnte einmal klappen. Aber beim zweiten Mal könnte niemand mehr weggucken.
Können Sie sich vorstellen, dass die USA einen solchen Angriff billigen?
Falls die USA mit Israel zusammenwirkten, wäre die Sache radikal anders. Aber ich sehe keine Wahrscheinlichkeit, dass die USA das möchten. Der beste Moment für einen solchen israelischen Angriff wären die letzten sechs Monate der Bush-Administration gewesen.
Wie Gaza?
Ja. Da war die amerikanische Administration komplett proisraelisch. Wahrscheinlich hätte die Bush-Administration weggeguckt und Israel wäre mit einem blauen Auge davongekommen.
Will der Iran eine Atombombe?
Der Iran versucht, so nah wie möglich an eine Bombe zu kommen.
Soll die internationale Gemeinschaft den Iran seine nukleare Fähigkeit ausbauen lassen?
Der Iran hat diese Fähigkeit bereits entwickelt. Unsere jahrelangen Drohungen haben nicht funktioniert. Vor zehn Jahren hatten wir eine Gelegenheit, das iranische Nuklearprogramm extrem klein zu halten. Aber wir haben das Boot komplett verpasst.
Ist das ein Plädoyer, die Sanktionen zu stoppen?
Nein. Es geht darum, die Sanktionen zu nutzen. Als ein Mittel, den Iran dahin zu bekommen, wo man ihn haben will. Wir können Sanktionen ausüben, die wirken. Wir können das Leben im Iran unbequem machen. Aber wir können den Iran nicht zwingen, seine unabhängige nukleare Energieproduktion - die die Möglichkeit einer Bombe beinhaltet - zu stoppen.
Wie definieren Sie die Ziele, die die USA im Iran anstreben sollten?
Ich sehe zwei Ziele, die wir mit Verhandlungen anstreben sollten: Erstens sicherstellen, dass der Iran so weit wie möglich von einer Bombe entfernt bleibt: 18 Monate oder zwei Jahre. Zweitens Transparenz. Darauf bestehen, dass der Iran sich für maximale Inspektionen durch die IAEA öffnet. Inklusive die Produktionsstätten, und nicht nur die Orte, wo Zentrifugen installiert sind. Dabei kann man erkennen, ob der Iran eine Bombe bauen will. Und das gibt eine gewisse Zeit. Das ist nicht perfekt. Aber das ist das Beste, was wir tun können. Um es zu erreichen, kann man die Sanktionen nutzen.
Sie meinen, die Drohung mit Sanktionen?
Nein. Ich meine jene Sanktionen, die seit Jahren in Kraft sind: Sie können keine Kreditkarte im Iran benutzen. Sie können keinen Kreditbrief von irgendeiner größeren Bank der Welt bekommen. Es gibt Leute, die nicht reisen können, weil sie in anderen Ländern verhaftet werden würden. Und es gibt keine großen Investitionen von westlichen Unternehmen in der iranischen Ölindustrie. Das sind alles reale Sanktionen. Und sie sind bedeutend. Der Iran mag sie nicht. Auch wenn sie nicht reichen, um ihn zu zwingen, seine Zentrifugenkapazität zu zerstören.
Sind die USA für die gegenwärtige Situation verantwortlich?
Natürlich. Unser ganzes System basiert auf Zwangsmitteln, die wir nicht haben. Der Iran war bereit, mit uns zu verhandeln. Wir haben nicht akzeptiert, dass er 64 funktionierende Zentrifugen hat. Und wir haben unsere Sanktionen verschärft. Was haben wir dafür bekommen? 9.000 Zentrifugen. Das ist eine schlechte Verhandlungsstrategie.
Wie kann man Sanktionen so gestalten, dass sie wirken?
Sobald wir Sanktionen umsetzen, lernen die Iraner, damit zu leben. Aber wenn Sie Sanktionen benutzen, um sie später in Verhandlungen einzusetzen, damit der Iran die totale Transparenz seines Systems akzeptiert, ist das eine vernünftige Sache. Wir haben so etwas nie versucht. Alle unsere Sanktionen waren Zwang. Sie folgen der Logik: Wenn etwas nicht funktioniert, dann machen wir dasselbe. Aber umso schärfer. Das funktioniert nicht.
Präsident Barack Obama hat einen neuen Ton gegenüber Teheran angeschlagen.
Die Obama-Strategie war gut. Er hat gesagt: Wir sind bereit, mit euch über Atom- und andere Fragen zu reden. Und er hat das Regime damit in die Defensive gedrängt. Viele Leute im Iran haben es als großen Wandel in der US-Politik gesehen. Sie haben daraus gefolgert, dass die USA nicht mehr versuchen, aktiv das Regime zu stürzen. Der Ruf nach einer samtenen Revolution kam nach Obamas Politikwechsel.
Aber der Iran ist nicht auf das Gesprächsangebot eingegangen.
Der Iran braucht Brennstoff für den Forschungsreaktor in Teheran, den wir ihm gegeben haben. Die Idee war, dass der Iran sein niedrig angereichertes Uran nach Frankreich gibt und es dort zu Brennstäben verarbeiten lässt. Aber bei ihrer Rückkehr nach Teheran wurden die iranischen Unterhändler von allen Seiten attackiert, weil sie keine Garantien dafür hatten, dass die Brennstäbe tatsächlich in den Iran zurückkommen. Als Resultat wollte der Iran neu verhandeln. Aber der Westen hat es nicht akzeptiert. Anstatt über Details zu reden, war unsere Antwort: Wenn ihr unser Angebot nicht akzeptiert, gibt es keine weitere Verhandlung. So lange, bis ihr exakt das tut, was wir wollen. Das ist keine Verhandlung.
Spielt die Geiselkrise von 1979 bis 1981 heute noch eine Rolle?
Sie wiegt weiterhin sehr schwer. Es gibt viele Leute, für die der Iran ein fanatisches Regime ist, mit dem man nicht verhandeln kann. Gerade deswegen war ich beeindruckt, dass Obama in der Kampagne gesagt hat, wir sind verhandlungsbereit. Ohne Vorbedingungen. Das war sehr mutig und sehr unpopulär. Damit konnte er keine Wählerstimmen gewinnen. Als er das als Präsident tatsächlich tat, hatte er sofort alle möglichen Gegner.
In Washington redet niemand mehr von einem Regimewechsel.
Die Frage ist: Wie setzen Sie einen Regimewechsel um? Eine Möglichkeit ist es, nichts zu tun und das iranische Volk allein regeln zu lassen. Das andere Extrem ist, was wir im Irak getan haben: Mit dem Militär reingehen und das Regime stürzen. Die meisten Leute in Washington denken, dass das keine gute Idee ist. Sie haben recht.
Woher nehmen Sie die Ruhe angesichts der Möglichkeit einer iranischen Atombombe?
Schon der Schah hat uns gesagt, dass er den Iran in die Lage versetzen wolle, eine Bombe zu entwickeln. Er wollte die Fähigkeit haben, sie in dem Moment zu bauen, in dem er sie braucht. Die Verwaltung in Teheran hat sich diese Politik zu eigen gemacht. Ich denke, damit müssen wir leben. Es geht nicht darum, sich mit der Bombe zu arrangieren.
Und was sagen Sie Israelis, die das Leben mit einer iranischen Bombe als konkrete Bedrohung empfinden?
Was hätten Sie lieber? Einen Iran mit bindenden Abkommen und Kontrollen, die das Land in einer gewissen Distanz von einer Bombe halten würden? Oder einen Iran, der aus dem Non-Proliferation-Vertrag austritt und die IAEA-Inspektoren rausschmeißt?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren