Ehemaliger Kasernenstandort in Sachsen: Kaninchenschau statt Gebirgsjäger

Schneeberg hat hinter sich, was vielen Bundeswehrstandorten erst noch bevorsteht. In die ehemalige Kaserne verlieren sich Lackierer, Bürstenmacher und manchmal Tierfreunde.

Grundausbildung in Schneeberg: Rekruten üben 2004 am Maschinengewehr MG-3 (vorn) und der Pistole P-8 (rechts hinten). Bild: ap

SCHNEEBERG taz | An die Gebirgsjäger, die im März 2008 abzogen, erinnert kaum noch etwas auf dem 50 Hektar großen Areal oberhalb der Erzgebirgsstadt Schneeberg. Man vermutet eher ein Schulungszentrum mit Restaurant, Schwimmhalle und Sportanlage, fast eine Feriensiedlung.

Doch die Wohngebäude mit den Spitzdächern können ihren Kasernencharakter nicht verbergen. Und in den alten Fahrzeughallen hat sich schon Kleingewerbe angesiedelt. Immerhin ist der ehemalige Kletterturm verkleidet, sind die Sickergruben zu Biotopen umgestaltet worden. Auf einer Wiese weiden Alpakas.

Am lässig bewachten Haupttor kommen einem Asylbewerber entgegen, die in einem der Gebäude untergebracht sind. Die Chemnitzer Ausländerbehörde hat das Provisorium soeben bis Februar verlängert. Aus einem Lieferwagen steigt Johannes Hahn. Vor dem Rentenalter arbeitete er hier in der damaligen Volksarmee-Kaserne als Elektriker. Heute führt er als Hausmeister potenzielle Mieter und Investoren über das Gelände – "mit blutendem Herzen" angesichts der verwaisten Gebäude.

Die Schließungen: Mehr als 120 der 400 Bundeswehrstandorte werden geschlossen oder drastisch verkleinert. Das sieht die Entscheidung vor, die Verteidigungsminister Thomas de Maizières (CDU) am 26. Oktober vorgestellt hat. Sie trifft Bayern, Schleswig-Holstein und das Saarland am härtesten. Bayern verliert mit fast 20.000 von bisher 50.700 Dienstposten die meisten Soldaten. Bis 2017 will de Maizière das Konzept weitgehend umsetzen.

31 Standorte werden komplett geschlossen, davon sechs große mit mehr als 1.000 Dienstposten. 90 werden erheblich verkleinert, das heißt um 50 Prozent oder um mehr als 500 Dienstposten. 33 davon schrumpfen so stark, dass sie künftig mit weniger als 15 Soldaten oder Zivilisten ausgestattet sind und gar nicht mehr als Standorte geführt werden.

Die Reform: Diese Entscheidung ist die letzte wichtige Weichenstellung der Bundeswehrreform - nach dem Aussetzen der Wehrpflicht sowie der Festlegung der Truppenstärke und der Grobstrukturen. Die Bundeswehr soll von 250.000 auf bis zu 185.000 Soldaten verkleinert werden. (dpa)

Es war ein für fast 70 Millionen Euro perfekt ausgebauter Bundeswehrstandort für 1.500 Dienstposten, überwiegend für Zeitsoldaten aus der Region, und für 130 Zivilbedienstete. Zum Teil wurde hier nach 2004 noch weitergebaut, obwohl der Schließungsbeschluss von Verteidigungsminister Peter Struck schon bekannt war.

Das Stabsgebäude mit 16 Hörsälen, die Kantine, die Sportplätze, die Sporthalle, Kegelbahn, Sauna und vor allem die Schwimmhalle wirken denn auch so, als könnte alles morgen schon wieder in Betrieb gehen. In der Schwimmhalle hängt auf einem Bügel noch der Badeanzug der letzten Schwimmerin, die 2009 hier ihre Bahnen zog.

Dreihundert Jahre Militär

Bürgermeister Frieder Stimpel (CDU) hat darum gekämpft, dass nach dem Abzug der Gebirgsjäger die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, die das Areal übernahm, die Infrastruktur nicht anrührt und die Hallen nicht etwa entkernt. Ein Grund mehr für eine Lackiererei, eine "Bürstenbude", einen Landschaftspflegebetrieb und einen Bilderrahmenhersteller, hier Flächen zu mieten.

Doch Stimpel schildert auch, welchen Einschnitt das Ende einer dreihundertjährigen Militärtradition für die Region bedeutete, die schon einmal mit dem Ende des Uranbergbaus der Wismut AG 1990 nahezu aussichtslos zurückgeworfen wurde. Kaufkraft und Steuereinnahmen sind gesunken, Soldatenfamilien weggezogen. "Der demografische Wandel hat sich regional noch verschärft", sagt Bürgermeister Stimpel.

Eine Studie des ehemaligen Direktors des Institutes für Wirtschaftsforschung Halle, Ulrich Blum, rechnete vor, dass ersatzweise 900 Arbeitsplätze geschaffen und 150 Millionen Euro investiert werden müssten. Noch immer reagieren viele Schneeberger allergisch auf das Thema Bundeswehr.

Schatten der Vergangenheit: Die Hindernisbahn in Schneeberg 2004. Bild: ap

Im fünf Kilometer entfernten Aue hat der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Colditz sein Büro. Auch er hält es für einen "politischen Skandal", dass das Land und die Kommune mit den Konversionsfolgen vom Bund alleingelassen wurden. Ganze 2 Millionen Euro brachte der Immobilienanstalt 2009 schließlich der Verkauf des Geländes, der erst im dritten Anlauf gelang, wofür der Bund der Steuerzahler den "Schleuder-Sachsen" verlieh.

Kasernendächer zu Solaranlagen!

Der neue Eigentümer heißt wiederum Struck, aber Gustav mit Vornamen, hat im bayerischen Kirchham ein Solarunternehmen und schon zwei ehemalige Kasernen erworben. In Schneeberg vermietet er die Dächer jedoch an andere Solarfirmen. Mehr als 1,2 Megawatt installierte Leistung lassen die Leitungen allerdings nicht zu.

Struck, 70 Jahre alt, ist Unternehmer alter Schule, er genießt in Schneeberg Vertrauen und vermietet, anstatt scheibchenweise zu verkaufen. Mit den Worten; "Ich möchte die Regie behalten", hält er an der Idee einer Gesamtgestaltung des Geländes fest. Und er sucht sich seriöse Interessenten, die Arbeitsplätze schaffen sollen, um die Konversionsfolgen etwas zu mildern. Gerade fährt ein Unternehmer aus Neuss vom Gelände, der hier ein Walzgerüst für Nickelfolien einrichten will und dabei auf die Metallverarbeitungstradition im Erzgebirge setzt. Er lobt die "idealen Bedingungen".

Das Problem sind die Wohn- und Sozialgebäude. "Für eine Schule optimal" – das sagt nicht nur Struck. Aber allein die Schwimmhalle würde jährlich eine Viertelmillion Euro verschlingen. Und die Kaninchenausstellung des Züchtervereins in der Turnhalle im Advent ist nur ein Behelf. Noch klingt es nach Orakel, doch Gustav Struck will einen ernsthaften Interessenten für die Einrichtung eines Internats an der Hand haben.

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