Ehemaliger Berliner Staatssekretär: Nilson Kirchner ist tot
Er erfand die Ekelliste für die Gastronomie und wollte Verkehrssenator werden. Nun ist der Grünen-Politiker Jens-Holger Kirchner gestorben. Ein Nachruf.
2010, als er genüsslich von grünem Anspruch und grüner Wirklichkeit in Prenzlauer Berg erzählte, war Kirchner, der sich selbst nach der schwedischen Kinderbuchfigur Nils Holgersson „Nilson“ nannte, Stadtrat für öffentliche Ordnung. Nach der Bezirkswahl von 2006 hatten SPD und Linke den Pankower Grünen die Stadtentwicklung verweigert, und Kirchner war plötzlich für Falschparker zuständig.
Dass er dann mit der „Ekelliste“ Schlagzeilen machte, die erste bezirkliche Auflistung hygienischer Mängel in Gastronomiebetrieben, zeigt, welches politische Talent Kirchner hatte. Er redete nicht nur Klartext, er handelte auch als Politiker mit überraschender Klarheit.
Natürlich ecken politische Ausnahmetalente an. Nach der Abgeordnetenhauswahl 2016 wollte Kirchner im neuen rot-rot-grünen Senat nichts sehnlicher als Verkehrssenator werden. Doch das Amt war einer Frau vorbehalten, und so wurde Kirchner Staatssekretär unter der von außen geholten, zunächst parteilosen Senatorin Regine Günther.
Als Kirchner 2018 an Krebs erkrankte, entließ Günther ihn gegen seinen Willen. Seine letzten Jahre verbrachte er in der Senatskanzlei, wo er sich als Planer um Großprojekte wie den Campus in der Siemensstadt kümmerte.
Streitbarer Politiker
Dass er zum streitbaren Politiker wurde, war Kirchner nicht in die Wiege gelegt. 1959 in Brandenburg an der Havel geboren, hatte er zunächst Tischler an der Komischen Oper gelernt, weil er nicht zum Abitur zugelassen worden war. In den stürmischen Wendezeiten gründete er das „Netzwerk Spielkultur“, ohne das es heute nicht den Abenteuerspielplatz in der Kollwitzstraße gäbe.
Den Blick von unten hat Kirchner immer beibehalten, aber nicht selten auch mit dem Blick des Machbaren konfrontiert, zum Beispiel beim Umbau der Kastanienallee oder der Oderberger Straße. Ein bisschen altersweise war er da schon geworden. Das mit der „Brut“ aus dem Gespräch mit dem Autor änderte er beim Autorisieren dann doch in „Kinder“.
Nun ist Nilson im Alter von 64 Jahren am Krebs gestorben, der er zwischenzeitlich überwunden hatte. Die Grünen, die er zuletzt verlassen hatte, würdigten Kirchner als „Macher, der dafür gebrannt hat, unsere Stadt besser zu machen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja