: Ehemalige SED-Kreisleitung als Jugendfreizeitzentrum?
Neubrandenburg (taz) - Seit Montagabend halten zwanzig Jugendliche das ehemalige Gebäude der Kreisleitung Neubrandenburg besetzt. Diese Aktion richtet sich nicht gegen die neuen Besitzer des Hauses, sondern gegen die Verschleppungstaktik der Stadt in bezug auf die Forderung der Jugendliga und der Evangelischen Kirche nach einem Jugendfreizeitzentrum für die Stadt.
„Zerredet wurde viel - die Zeiten stehen auf Sturm“, steht in großen Lettern auf dem Transparent am Haus. Und dieser Slogan ist nicht nur so ein Spruch, denn bedenkt man, daß das Durchschnittsalter der Neubrandenburger 3o Jahre beträgt und für die 15.000 Jugendlichen der Stadt unter 25 Jahren lediglich 1.380 Jugendclubplätze zur Verfügung stehen (verglichen mit dem DDR-Durchschnitt fehlen in der Stadt 4.000 Plätze), so stehen die Zeichen nicht nur auf Sturm, sondern auf Orkan.
In der Stadt gibt es nur drei kommunal geleitete Jugendclubs. Die restlichen sind Betriebseigentum und stehen somit in nächster Zukunft auf der Abschußliste, wie jüngst das Beispiel des Jugendclubs des VEB Nagema beweist. Die Initiatoren des Jugendfreizeitzentrums sehen in nächster Zeit, was die Jugendclubs betrifft, schwarz. Sie wollen nicht länger zulassen, daß Jugendfragen als Provisorium gelöst werden.
Seit Ende vergangenen Jahres lag das Projekt „Jugendfreizeitzentrum“ auf dem Runden Tisch der Stadt. Von dort wurde es mit Befürwortung an den Rat der Stadt geleitet. Dieser sah seine Aufgabe lediglich darin zu beraten und zu zerreden. Denn wie sonst soll man solche Praktiken verstehen, die darin gipfeln, die Jugendlichen ein Objekt besichtigen zu lassen, das schon für Gewerbezwecke vergeben wurde.
Auch das Angebot des Oberbürgermeisters vom Donnerstag an die Besetzer verspricht keine Lösung. Es stellt vielmehr wiederum nur ein Provisorium dar. Denn, im Klartext gesprochen, man billigt den Jugendlichen eine Gastrolle im Haus der Kultur und Bildung (HKB) zu. Das Angebot ist vage, denn erstens muß man sich dem Veranstaltungsplan des Hauses fügen, und zweitens wurden Räume angeboten, die schon von anderen Jugendclubs belegt sind. Für den nächsten Dienstag ist ein Gespräch mit Vertretern des Hauses der Kultur und Bildung, dem OB und dem Stadtrat für Jugendfragen vereinbart worden. Bis dahin wollen die Besetzer über den gemachten Vorschlag des Jugendclubs der Stadt diskutieren.
Das Haus wird bis zum Ende der Aktion schon mal als Jugendfreizeitzentrum benutzt, um den Stadtvätern ein Anschauungsmaterial zu liefern. Nachtcafe, Kinderfest, Besetzertalk, ein Haus, offen für alle.
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