Ehemalige FDP-Politikerin: Hildegard Hamm-Brücher ist tot
Sie repräsentierte den sozialen Liberalismus so sehr wie sonst keine Politikerin der Bundesrepublik. Hildegard Hamm-Brücher ist im Alter von 95 Jahren gestorben.
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Über Jahrzehnte prägte Hamm-Brücher die Politik der Liberalen, als Bundestagsabgeordnete und Staatsministerin im Auswärtigen Amt unter Außenminister Hans-Dietrich Genscher. „Mit ihr verliert Deutschland eine große liberale Persönlichkeit“, sagte der bayerische FDP-Landeschef Albert Duin.
Als Hildegard Brücher wurde sie 1921 in Essen geboren, als drittes von fünf Geschwistern. Schon mit elf Jahren wurde sie Vollwaise. Sie wuchs in Berlin auf.
In den Kriegsjahren 1940 bis 1945 studierte sie Chemie in München. Sie erlebte, wie sich ihre jüdische Großmutter aus Angst vor Deportation das Leben nahm. Ihr Doktorvater schützte und förderte sie, obwohl sie nach den Rassengesetzen als „Halb-Jüdin“ galt. Kurz vor ihrem 24. Geburtstag endete der Zweite Weltkrieg – das Geschehene und Erlebte empfand sie als Lebensauftrag für ihre Zukunft.
Im Jahr 1948 wurde Hildegard Hamm-Brücher Stadträtin in München, später Landtagsabgeordnete in Bayern, dann Staatssekretärin im hessischen Kultusministerium. In der Regierungszeit von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) ist sie Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft und während Helmut Schmidts (SPD) Kanzlerjahren die erste Staatsministerin im Auswärtigen Amt in Bonn. Dem Bundestag gehörte sie von 1976 bis 1990 an.
Die Krönung ihrer Laufbahn blieb ihr versagt: Hamm-Brücher kandidierte 1994 für das Amt des Bundespräsidenten. Doch im dritten Wahlgang opferte ihre Partei sie dem Koalitionskalkül – Staatsoberhaupt wurde Unionskandidat Roman Herzog.
Nach 50 Jahren in der FDP gab Hamm-Brücher 2002 ihr Parteibuch ab – wegen antiisraelischer Äußerungen des damaligen Parteivizes Jürgen Möllemann. 2015 verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand. Doch trotz zweier Oberschenkelhalsbrüche, Gedächtnislücken und Gleichgewichtsstörungen verfolgte sie die Entwicklungen in der Politik weiter.
Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) würdigte die Verstorbene als den „Inbegriff der gelebten Bürgergesellschaft“. Zu jeder Zeit habe sie vor der Verharmlosung extremer Gesinnungen gewarnt, erklärte sie.
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