: Egner's Getränkeagentur Von Michael Rudolf
Mit ungewissem Interesse verfolge ich seit geraumer Zeit das stürmische Auf und Ab von „Egner's Getränkeshop“, einer Art Secondhand-Trinkstube in der Friedhofstraße. Doch erst seitdem er auf den Namen „Getränkeagentur“ hört, formte sich in mir der Wunsch nach genauerer Inspektion. Nahezu zeitgleich angestachelt von den Äußerungen des beliebten Wuppertaler Künstlers Eugen Egner, der unlängst seine weitestläufige Verwandtschaft mit den Betreibern dieses Objektes andeutete.
Willkürlich beschriftete Pappschilder belegen, daß es dem Eigentümer am exakten Wissen um Buchstabe und Zahl gebricht. Zierliche Urinpfützlein legen sich in den Weg, Fremde taxiert man zunächst per Videoüberwachung, die Theke überrascht mit einer Vielzahl von Landserheftchen. Die noch zuen Bierflaschen sind vor lauter Dauerkundschaft kaum auszumachen. An diesem Gestade präsentiert sich die Untergattung Mensch, deren berufliche Aussichten es angeraten erscheinen lassen, den ganzen Tag hier zu verbringen und lieber mit dem Verfallsdatum um die Wette zu trinken.
Nach einer kurzen Adaptionszeit mache ich die Erfahrung, daß ein Großteil der Kommunikation hier sehr wohl über Sprache funktioniert. Nur ist kaum zu überhören, daß sich die Wortschätze der maßgeblich daran Beteiligten kaum überlappen. Ergebnis: Man brüllt sich gegenseitig Trinkratschläge zu, diskutiert das Wetter von z.T. unhaltbaren Positionen, auch die übrigen mündlichen Ankündigungen sind selten in einen zwingenden Zusammenhang mit den physischen Ausführungen zu bringen, die man darauf folgen läßt. Auf das die Schrift erfüllet ward: „Die haben ja wohl voll das Rad ab!“
Mein kühnes Eintreten wird von jäher Stille umrahmt. Dann greift Egner sen. zum Wort. Weil er so ein gutes Herz und allen angeschrieben habe, hätten ihm die Stadtwerke den Elektrostrom abgestellt, das Wasser ebenfalls. Wie gut, daß seine Stammgäste mit regelmäßigen Kerzen- und Wasserspenden den Betrieb aufrecht erhalten halfen.
Der Brauerei habe er angedroht, seinen eigenen Sohn, sein eigen Fleisch und Blut, bei ihr in die Lehre zu geben, wenn sie weiter auf der Bezahlung seiner Schulden bestünde. Das besagte Fleisch und Blut, Egner jun., steht eben im Begriff, nach den ihm gegebenen Möglichkeiten durch Nachpfeifen einer populären Melodie Lob für deren Schöpfer auszuformen. Wiederholt wird dies vom Gästerund als mißglückter Gehversuch im Bereich zeitgenössischer Kammermusik interpretiert, und man läßt es verständlicherweise an derbem Tadel nicht fehlen. „Der is doch de Sohn von seine eichne Schwester“, wird ferner als Behauptung in den Raum gestellt. Die Stimmung ist jedoch derart diffus, daß mit einer Antithese und ihrer fundierten Verteidigung in Bälde kaum zu rechnen ist.
Egner sen. reagiert einfach nicht auf die ungeheuerliche Unterstellung, denn er hat mich endlich als Kunden ausgemacht und wittert ein Geschäft. Für die zwei Flaschen Recken Edel-Pils verlange er einszwo, mindestens meine Fahrradklingel – aber sicher, Geld nehme er auch. Eine Maak? Gemacht! Ich bestehe nicht darauf, ihm dieses „Geschäft“ zu vermiesen, und trolle mich, so schnell es geht.
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