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Editorial

Die kurzfristige Wiederverhaftung von Wei Jingsheng und anderen Dissidenten im Vorfeld des chinesischen Parteitages und des Besuchs des amerikanischen Außenministers Warren Christopher in Peking waren der Auftakt einer chinesischen Kraftmeierei gegenüber jeder Kritik an der Art, wie die Regierung des Landes mit ihren Bürgern und Dissidenten umgeht – und weiterhin umzugehen gedenkt. Es ist ein ernüchternder Gedanke, daß der legendäre Wei Jingsheng, publizistischer Vertreter des Pekinger Frühlings und 1979 für über 14 Jahre weggesperrt, nie soviel Lärm in der Welt hervorgerufen hat wie seinerzeit Alexander Solschenizyn und Salman Rushdie heute.

Wie man hier sieht, kann man jedoch mit einem Bruchteil der Fälle politischer Gefangener in China mühelos ganze Zeitungsseiten füllen. Die japanische Journalistin Sachiko Tamashige stellt auf diesen Seiten Problematik und Tendenzen der modernen Kunst in China dar. Auch hier ist Selbstzensur zu einer hohen Kunst geworden – was man zwischen den Zeilen lesen muß. Viele Kontaktpersonen haben dennoch ausdrücklich gebeten, ihren Namen wegzulassen.

Das „Chinafieber“, von dem Tamashige in Hinblick auf den Kunstmarkt spricht, hat es – mit entsprechend abgeschwächten Profitraten – auch in der Literatur gegeben, nicht zuletzt durch Jung Changs Welterfolg „Wilde Schwäne“. Jung Chang, die in London lebt (und Streichungen in ihrem Buch ablehnt, weshalb es keine offizielle Ausgabe in der Volksrepublik gibt), hat ein Vorwort für eine Anthologie chinesischer AutorInnen in England geschrieben, aus der Wang Jiaxins Gedicht und Pui Fan Lees Text entnommen sind. In ihnen spiegelt sich Melancholie und Surrealität des Lebens von ChinesInnen „unter Weißen“ – in deren Länder sie allzu oft nicht freiwillig gekommen sind.

Das „Writers in Prison Committee“ (WiPC) des internationalen PEN-Zentrums, das uns die heute hier abgedruckten Fälle inhaftierter Schriftsteller in China und Tibet zur Verfügung gestellt hat, ist eine ebenso vorsichtige Organisation wie amnesty international. Ihre allmonatlich auf den neuesten Stand gebrachte Liste der „Hauptfälle“ nimmt nur diejenigen auf, deren Haft eindeutig und nachweisbar aus ihrer publizistischen Tätigkeit erwachsen ist. WiPC weist darauf hin, daß Leser einige Details dennoch vielleicht besser wissen als sie und bittet in diesen Fällen um Korrektur. Die gesamte Liste von Namen verfolgter Publizisten in China und Tibet enthält noch weitere 40 Fälle über die hier vorgestellten „Hauptfälle“ hinaus. (Wer mehr Informationen möchte, wende sich an: Writers in Prison Committee, International PEN, 9/10 Charterhouse Buildings, Goswell Road, London EC 1M 7AT.

Die hier vorgestellten Texte sind nicht aus Index on Censorship, da die Zeitschrift erst wieder im Mai 1994 erscheint. Uta Ruge, London

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