Editorial von Jan Feddersen zur Kirchentaz: Wie schmeckt Opium heute?
Das wird ein erfolgreicher Evangelischer Kirchentag in Nürnberg, und zwar allein schon deshalb, weil protestantische Christinnen und Christen sich besonders gern treffen – und das letzte Treffen fiel vor zwei Jahren wegen Corona aus.
Vier Tage lang wird das wichtigste christliche Event Europas gegeben. Typisch evangelisch wird sein – denn man ist dem Wort, nicht nur dem Ritus verpflichtet –, dass fast alle Veranstaltungen die brennenden gesellschaftlichen Themen zur Erörterung bringen: Klimawandel, Rassismus, Gerechtigkeit. Die Frage der Solidarität mit Flüchtlingen. Und den russischen Krieg gegen die Ukraine. In dieser Fragestellung liegt aber der besondere Zündstoff dieser evangelischen Tage. Denn der alte rotgrüne Konsens, der Konsens auf strikteste Militärferne, der existiert nicht mehr.
Margot Käßmann, unbestreitbar über fast zwei Jahrzehnte der Star dieser Kirche, besonders auf Kirchentagen, wird nicht mit dabei sein – sie würde sich ohnehin in „ihrem“ Kirchentag nicht wiedererkennen. Denn die Mehrheit der Evangelischen in Deutschland hat das Motto der friedensbewegten DDR-Opposition, „Schwerter zu Pflugscharen“, verworfen.
David gegen Goliath, das ist die aktuell am stärksten glaubwürdige biblische Lesart: die Ukraine muss sich gegen Russland verteidigen. Also: Pflugscharen zu Schwertern. Der traditionelle rot-grüne Schulterschluss in der politischen Grundstimmung trägt nicht mehr. Traditionell, das meint die Evangelischen Kirchentage zu den Hoch-Zeiten der westdeutschen Friedensbewegung.
Die Kirche orientiert sich nun um, zwangsweise ohnehin wegen massiv schwindender Mitgliederzahlen. Aber auch thematisch: Kein Kirchentag war je inklusiver und diversitätsbewusster. Die alten Erbschaften der deutschen Kirchen, mit den muffigen und völkisch anmutenden Seinsformen in patriarchalen Pfarrhäusern, werden ausgeschlagen. Was bei diesem Kirchentag herauskommt, was das Motto „Jetzt ist die Zeit. Hoffen. Machen“ wirklich bedeuten kann, ist offen. Die taz spiegelt ein Panorama dessen, was diese Kirche in unserer Gesellschaft präsent macht. Vielleicht sogar wichtig.
Das muss auch für Menschen zu wissen interessant sein, die wie eh und je auf dieses linke Credo halten: „Religion ist Opium des Volkes.“ Wir beschreiben auf unseren Seiten und auf folgenden während des Kirchentages, wie dieses Zeug so schmeckt, ob es schmeckt, und warum. Wir wünschen Freude bei der Lektüre – und uns jede Menge Resonanz.
Jan Feddersen für das Kirchentaz-Team
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