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Echte Ethnos

Wie schwarze Künstler in der amerikanischen Kunstszene vermarktet werden  ■ Von Luisa Francia

Es war einmal ein kleiner schwarzer Junge. Er lebte in New York, nein, nicht in der Bronx, sondern im In-Viertel Brooklyn Heights. Sein Vater war auch kein abgerissener Alkoholiker, sondern Buchhalter, seine Mutter Hausfrau, beide stammten aus Haiti. Dieser kleine Junge, Jean-Michel Basquiat hieß er, wußte nur eins genau: Wenn er mit seiner gediegenen Schulausbildung fertig war, wollte er berühmt werden, und zwar als Maler. Um schon mal ein bißchen zu üben, ging er mit Freunden sprayen. Aber während die anderen Jungs am meisten Spaß daran hatten, U-Bahn-Züge mit Comicserienbildern zu bemalen und in Bahndepots einzubrechen, wo sie oft genug erwischt wurden, waren Jean-Michel Basquiat und sein Freund Al schlauer: Sie wußten, wenn sie lange genug im Yuppie- Viertel Soho an die Hauswände der In-Galerien sprühten, würden sie schon mal entdeckt werden. „Wenn du berühmt werden willst“, sagte Basquiat einmal, „dann mußt du den Leuten so viele Rätsel und Geheimnisse um die Ohren hauen, daß sie sich überhaupt nicht mehr auskennen“ (Zitat aus 'Guardian Weekend‘, Waldemar Januszcak). Er malte also kleine Rätselbildchen, die er mit seltsamen Worten und Zahlen versah, er kritzelte Worte wie Arrow, Flight, Salt oder einen Dollar auf Papier und versah alles mit unzähligen c-Zeichen. Er schrieb Zahlen und Buchstaben verkehrtherum und mühte sich redlich, einen legasthenischen Eindruck zu machen bzw. den Anschein zu erwecken, er sei ein schwarzer Underdog aus Haiti, der Graffiti und Voodoo aus seiner unbedarften und ungeschulten Hand schüttelt.

„Unleserliches Zeug“, kritisierte ihn einer der wirklichen Graffiti- Sprayer, Ramm-El-Zee B-Culture No 1, der selbst am Sturz der Kunstmafia arbeiten/sprühen will und keinen Wert auf Ruhm legt, den ihm die reichen und berühmten GaleristInnen verschaffen könnten. „Er streicht Wörter aus, schreibt sie falsch, er kann ja nicht mal richtig schreiben, Mann! Er kann nicht mal gut malen! Du malst doch kein Haus, das einstürzt. Aber das malt dieser Idiot, Zusammengebrochene Phantasien...“ Ramm-El-Zee hat den Verdacht, daß all diese Bilder nicht von Basquiat kommen: „Sie sagten ihm, du mußt so zeichnen, daß es aussieht als hätt's ein Ethno gemacht und nannten es Volkskunst der schwarzen Männer. In Wirklichkeit war das Zeug ein Kunstprodukt der Weißen.“

Obwohl es unmöglich ist, diese Behauptung zu bestätigen oder zu widerlegen, spricht die Geschichte Basquiats dafür. Als Sprayer nannte sich Basquiat SAMO und entschlüsselte einmal den Namen selbst: Same Old Shit... Aber er hatte richtig kalkuliert: Seine Haus-Graffiti wurden entdeckt, eine Galeristin holte ihn in ihr Atelier und ließ ihn malen. Er war auf dem besten Weg, der einzige schwarze Maler von Weltruf auf dem Kunstmarkt zu werden, noch dazu zu Lebzeiten.

Und das, obwohl auf dem internationalen Kunstmarkt die Parole „Schwarze und Frauen drücken das Niveau“ (laut Kunstkritiker Greg Tate) als Grundregel gilt. Der Markt brauchte keinen Buchhaltersohn mit gediegener Ausbildung und guten Manieren. Aus Annina Nosei, der Galeristin, die ihm die erste Chance gab, wurde „Cruella de Ville, die ihn in den Keller steckte und seine noch nassen Bilder unter dem Pinsel wegriß, um sie zu verkaufen.“ Aus dem Mittelstandsjungen wurde der Outcast aus Haiti, dessen Vater Alkoholiker war, der seine Frau schlug. Es paßte besser in die von tödlicher Langeweile bedrohten, von den Schnabels, Kiefers und Beuys' des Kunstmarktes ausgereizten Nobelgalerien, daß da ein Straßenkid aus dem Dreck in die feine Gesellschaft aufstieg, ein gefallener Engel sozusagen. Nur so konnte es ein Schwarzer schaffen; alles andere bedienten die „white males“.

Mary Boone, renommierteste Galeristin in New York, schnappte sich Basquiat samt Legende. Warhol meinte rührselig, wie er die „druggy downtown kids“ liebe, die so ganz ohne Ausbildung, ohne „skills“ drauflosschmierten und holte Basquiat in seine factory. Bruno Bischofberger kam aus Zürich an und kaufte, dem Gerücht in der Kunstszene zufolge, für rund 50.000 Schwyzer Fränkli, was heute mehrere Millionen Dollar wert ist (ein Bild von Basquiat kostet bei ihm nicht unter 300.000 Dollar). „Druggy downtown kid“ durfte mit Warhol und Clemente malen, kiffen, schnupfen, spritzen, wurde richtig berühmt — und nicht damit fertig. 1988 kaufte er mit seinem vielen Geld — denn er war mitllerweile reich — einen Haufen Heroin und brachte sich, 28jährig, damit um.

Das öffnete nach einer Spielregel der internationalen Kunstmafia (One-nigger-at-a-time-paleeze*!) den Weg für einen Freund Basquiats, den 1957 geborenen Ouattara aus der Elfenbeinküste/Westafrika. Er bringt das in die Kunstszene ein, was den Stempel Ethno-Pop-Art bekommen hat. Er ist ein „echter Ethno“ und bedient einen Trend, der immer mehr im Kommen ist: Die kulturelle Ausbeutung der dritten Welt, ihrer originalen Kraft, ihrer kultischen und religiösen Werte und Traditionen. Ouattara ist kein „Neger aus zweiter Hand“, er kommt direkt aus dem Land der Geister und Trommeln. Aber, verdammt, kein Mensch weiß etwas über die dortigen Zeremonien, kein Mensch will sich auf die differenzierten Bräuche, Traditionen und Bilder einlassen. Was also tun? Ouattara malt kurzerhand afrikanische Schamanen, die es nie gegeben hat, so wie es den Schamanismus in Afrika nie gab. Er ahnt, daß es diesen Menschen, die ihn so unvermutet hofieren, ausstellen, kaufen, nicht um seine wirklichen Erfahrungen und Bilder geht und vielleicht will er sogar seine wahre Tradition schützen. Er malt Kulturbretter, Schamanen, Fische, Wölfe. Er spielt mit den Bildern der Weißen und treibt dazwischen seine eigenen Bilder in die Hirne der Kunstkonsumenten.

„Wenn dich Weiße loben“, warnt der schwarze Filmemacher Haile Gerima, „entziehe dich. Laß dich von ihrem Lob nicht aufbauen und befriedigen. Denn dieselbe Macht, mit der sie dich in schwindelnde Höhen heben, reißt dich auch wieder runter, wenn sie genug von dir haben.“

Das Kultische ist in, und der schwarze Maler Ouattara, einziger Nachfolger auf dem Thron Basquiats, hat gute Chancen, der Prophet des Rituellen zu werden, das heutzutage, im New-Age-Sumpf, vom Management bis in die Opernhäuser wabert. Auf der letzten New Yorker Ouattara-Vernissage wurde seine Arbeit als „Verbindung zwischen Tradition und Moderne, der schwierigsten aller Herausforderungen“, gewürdigt. Diese begeisterte Einschätzung seiner Arbeit durfte auch Basquiat genießen.

In der afrikanischen Kunst, die in Auktionshäusern von Christies bis Sotheby's gehandelt wird, liegen die Senufo Westafrikas eindeutig im Trend. Alle Welt sammelt Senufo- Plastiken. Vielleicht weil sie von Picasso so sehr verehrt wurden, und irgendeiner muß ja schließlich Bescheid geben, warum was gut ist. Wenn Ouattara in New York oder Paris angeboten wird, vergleicht man ihn deshalb gern mit der Kraft der Senufo. Oder sagen wir mal, der Begriff hilft ein bißchen, ihn besser zu verkaufen. Senufo, das kennen die Kunstkonsummenten; wer Senufokunst kauft, hat auch die Kohle, um Ouattara zu kaufen. Die Motivation wird also gleich mitgeliefert: „Im Senufoland sagen die Geschichtenerzähler: Wenn einer unter euch ist, der meine Geschichte nicht glauben will, soll er drei Schritte hinaustun in die Nacht jenseits des Dorfes. Dort wird er sehen wie die Geister Stricke aus Sand drehen und ein Haus aus Wasser bauen... Ouattara ist einer von diesen Geistern.“ (Zitat aus dem Katalog der Galerie Boulakia in Paris).

Das ist Basquiats Rezept: Wenn du berühmt werden willst, hau ihnen ein Rätsel und Geheimnisse um die Ohren, und sie werden dir folgen. Aber wohin? Wohin geht Ouattara? Die Kunstszene ist in der Krise. Harings, Warhols, Schnabels fallen im Preis. Etwas Neues muß her. Vielleicht sind Schwarze demnächst wieder ganz out. Vielleicht sind die Geister Ouattaras den Konsummenten zu anstrengend. Wer hängt sich schon gern einen wirksamen Fetischzauber in die Wohnung, der nachts anfängt, mit der Videoanlage und den Computer-Disketten 17 und 4 zu spielen? Denn Ouattaras Bilder haben etwas, das Basquiat noch nicht mal vom Hörensagen kannte: wahre Magie. Wir können nur mutmaßen, wie lange die Sammlerwelt einen Quattara erträgt, bis sie ihn fallenläßt — für Kunst aus Südamerika, Ethno, versteht sich, oder vielleicht auch sibirische Schamanenkunst.

Bis es so weit ist, sollte man/frau sich aber keine Gelegenheit entgehen lassen, Ouattaras Bilder auf sich wirken zu lassen, zum Beispiel in der Galerie Boulakia, 20 Rue Bonaparte, 75006 Paris, T. 43 268636, bis 15.Dezember 90.

*paleeze: schwarze Rap-Sprache für: please.

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