East Side Gallery: Künstler bepinseln Mauer noch einmal
Die East Side Gallery wird saniert, die Bilder werden original instandgesetzt. Mitmachen wollen fast alle der 118 Künstler, die das Mauer-Wahrzeichen 1990 malten. Das kostet über 2 Millionen Euro.
An der East Side Gallery war am Mittwoch ein wenig vom Flair des Frühjahrs 1990 zu spüren. Farbtöpfe standen vor den Mauerresten an der Mühlenstraße. Pinsel und Walzen steckten darin und wurden gleich darauf über die Betonwand geführt. Mehrere Quadratmeter Fläche wurden von den rund 20 anwesenden Künstlern und Künstlerinnen bemalt, denen das "offene Atelier" zwischen Mauer und Spree - wie in den Tagen der Wende wohl auch - sichtlich Spaß machte.
Die ersten Pinselstriche am Mittwoch zum Auftakt der denkmalgerechten Instandsetzung und Sanierung des seit Jahren bröckelnden Berliner-Mauer-Wahrzeichens waren natürlich inszeniert. Doch in den kommenden Monaten sollen nach einer umfassenden Betonsanierung zur Bewahrung der Mauersubstanz die einstigen 105 Bilder auf den insgesamt 821 Mauersegmenten zwischen der Oberbaum- und Schillingbrücke Stück für Stück wiederhergestellt werden, erläuterte Cornelius van Geisten, Geschäftsführer der dafür zuständigen Sanierungsgesellschaft S.T.E.R.N.
Rund 100 Künstler - von 118 aus dem Jahr 1990 - haben ihre Teilnahme an der Rekonstruktion der verwitterten und mit Graffiti voll gesprühten Bilder zugesagt, betonte der Vorsitzende der Künstlerinitiative East Side Gallery, Kani Alavi. "Wir sind mit fast allen Künstlern aus den 21 Ländern in Kontakt. Sie sind begeistert von der Idee, die Mauer wieder bemalen zu können, und freuen sich, zu kommen." Für ihre Arbeit ist fast die Hälfte der 2,2 Millionen Euro Fördermittel aus Töpfen des Bundes, Berlins, der EU- und der Klassenlotterie reserviert. Die zweite Hälfte des Geldes wird zur Projektsteuerung und Betonsanierung verwendet. Die Fertigstellung, so hofft van Geisten, "ist zum 20. Jahrestag des Mauerfalls 2009 geplant".
Dass die Instandsetzung der East Side Gallery so lange auf sich hat warten lassen, hat bemerkenswerte Gründe, wie Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) erinnerte. Einmal fehlte das Geld, ein anderes Mal der politische Wille. Schließlich wurde der Simulationscharakter des Mauerrestes aufs Korn genommen.
Die Hauptschuldigen an der Wartezeit des seit 1992 unter Denkmalschutz stehenden Betonwalls, der bereits Mitte der 1990er-Jahre zu verfallen begann, aber waren offene Grundstücksfragen vor Ort, so Schulz. Sie bedrohten das Überleben der 1,3 Kilometer langen Galeriewand wesentlich mehr als die Abgase der Automobile. So habe beispielsweise der Exbürgermeister Kreuzbergs und spätere SPD-Bausenator Peter Strieder sich die Flächen für Stadtvillen am Wasser unter den Nagel reißen wollen. Wären diese gebaut worden, die East Side Gallery hätte sicherlich fallen müssen.
Hinzu kam, sagte Schulz weiter, dass es bis 2006 dauerte, alle Grundstücke am Standort gütlich zu restituieren beziehungsweise den Erwerb jener durch den Bezirk zu sichern. Erst nach dieser "anstrengenden Arbeit" des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg "war der Weg frei" für den endgültigen Erhalt und die Freigabe der Mittel zur Sanierung der mittlerweile verwitterten East Side Gallery.
Wie schon im Jahr 2000, als versucht wurde, zirka 40 Bilder zu erneuern, werden die neuen Gemälde nicht hinter Glas oder aus der Distanz zu sehen sein. Die Galeriewand bleibt "offen" zugänglich.
Die radikalen politischen Veränderungen der Wendezeit, die in den Wandgemälden kommentiert werden, bestaunen jährlich etwa 800.000 Besucher. Renner sind die Motive "Tödliche Liebe" (Der Zungenkuss von Breschnew und Honecker) oder "Test the Best" mit dem die Mauer durchbrechenden Trabbi. Kulturstaatssekretär André Schmitz wies darauf hin, dass die Galerie nicht nur für die künstlerische Auseinandersetzung mit der Maueröffnung stehe, sondern auch für die Teilung und den Tod in der Stadt.
Nur: Darüber erfahren die zahlreichen Besucher des Bilderspektakels bisher kaum etwas.
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