EUROPÄISCHER GENERALANWALT LEHNT WERBEVERBOT FÜR TABAK AB: Markt contra Moral
Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofes hat gestern dafür plädiert, dass wir dem Marlboro-Man weiter dabei zugucken dürfen, wir er in den Sonnenuntergang qualmt und dabei Lungenkrebs kriegt. Die juristische Begründung ist so simpel wie einleuchtend: Das geplante Werbeverbot für Tabak schaffe nicht, wie behauptet, gleiche Bedingungen für alle Anbieter im Binnenmarkt, sondern ziele auf ein generelles Verbot. Man könne aber, sagt der Generalanwalt, einen Markt nicht dadurch harmonisieren, dass man ihn abschaffe.
Die Europäische Union ist eine Freihandelszone. Hier gelten die Gesetze des freien Marktes – und nur die. Wer mit einem Produkt Geld verdienen kann, das den Kunden mittelfristig umbringt, der darf das. Der Versuch, so etwas wie Moral durch die Hintertür in die EU zu schmuggeln, den das Europaparlament ständig und die EU-Kommission gelegentlich unternimmt, scheitert regelmäßig.
Wird es teuer oder unbequem, verweisen die Mitgliedsstaaten auf ihre nationale Souveränität. Wo sie das – wie beim Umwelt- und Verbraucherschutz – nicht mehr können, spielen sie auf Zeit oder rufen den Europäischen Gerichtshof an. Wenn es dem Parlament einmal gelingt, hohe moralische Standards – wie zum Beispiel beim Grundwasserschutz – in Form einer EU-Richtlinie durchzubringen, dann werden sie von vielen Nationalstaaten einfach nicht umgesetzt.
Auch auf nationaler Ebene ist die Frage, was Moral, Menschlichkeit und Fürsorge kosten dürfen, nie ausdiskutiert. Je nach politischer Färbung wird sich die jeweilige Regierung entweder mehr um die Arbeitsplätze in der Tabakindustrie, um die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer oder um den Gesundheitszustand ihrer Bürger sorgen. Aber es gibt immerhin einen verfassungsrechtlichen und einen gesetzlichen Rahmen für solche Entscheidungen. Auf europäischer Ebene gibt es diesen Rahmen noch nicht. Deshalb wirken die Debatten im Europaparlament oft operettenhaft. Solange die Regierungschefs aber nicht bereit sind, sich in einem Verfassungsvertrag auf gemeinsame Grundwerte zu einigen, werden auch die Bürger das Spektakel in Brüssel und Straßburg nur als Operette betrachten. DANIELA WEINGÄRTNER
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