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EUROFACETTEWorte gegen die Verschwiegenheit

■ Appell italienischer Schriftsteller gegen den Filz von Organisierter Kriminalität und Politik

Wir sind Bürger dieses Landes, und wir nutzen seine Sprache tagtäglich für unsere Arbeit. Doch dieses Land ist immer weniger unser Land: immer mehr wird es uns entzogen, seine Natur, seine Umwelt, seine Kultur, seine Zivilisation. Die Kräfte, die dieses Land regiert haben und immer noch regieren, haben ein System des Zusammenlebens im Verschwenden und im Raub unserer nationalen Reichtümer entwickelt, das man nur noch als mafios bezeichnen kann. In diesem System herrscht bereits seit vielen Jahren, und dies immer ungenierter und arroganter, die Praxis der Erpressung, dominiert die Kumpanei in dunklen Geschäften und bei Unterschlagungen, breitet sich die Bösartigkeit aus, überwiegt der Filz des „Gibst-du-mir-geb-ich-dir“. Einen Moralkodex gibt es nicht mehr.

Das Gesetz wird immer mehr zum wertlosen Stück Papier. Das Chaos der Institutionen und der Verlust der bürgerlichen Gesellschaft stehen allen klar vor Augen. Und es ist genau dieser Rahmen der Zerrüttung und des Bandenkrieges, in dem das Krebsgeschwür der Mafia und der Organisierten Kriminalität wuchert. Die tiefgreifenden Risse, die das soziale Netz, die Wirtschaft und die Umwelt unentwegt auf brutalste Weise erleiden, sind ein beschämendes Schauspiel für ein Land, das sich für die fünftgrößte Industrienation der Welt hält. Gleichzeitig verbreiten immer mehr krankhafte Organe ihre Metastasen auch auf die Ebene des täglichen Lebens, auf die Verhaltensweisen, die Moral.

Daß es keinerlei alternative (und gegensätzliche) Modelle zu dieser so wirkungs- und machtvoll von der mafiosen Kriminalität propagierten Lebensweise gibt, löst zunächst Verzweiflung aus — und es führt dann zu einer sublimen Übernahme dieses Modells, speziell seitens junger, kulturell schutzloser und sozial exponierter Menschen.

Dies bedeutet, daß die mitunter auch noch zum Spektakel ausgebaute Repression des Phänomens nicht viel nützt, wenn dieses Vorgehen nicht flankiert wird von einer ernsthaften Sanierung der demokratischen Strukturen, der Wiederherstellung ihrer normalen Funktionsweisen, wenn es nicht begleitet wird von einer sauberen Wirtschaft, von transparenter öffentlicher Verwaltung. Die ehrlichen Menschen, nicht nur die in den besonders betroffenen Regionen Sizilien, Kalabrien und der Campania, können nicht länger warten. Fakten sind nötig, Ergebnisse.

Wir Menschen der Schrift haben stets eine Sprache benutzt, die sich schon aus dem Willen zu kritischem Bewußtsein heraus von selbst gegen die erpresserische, hinterhältige, korrumpierende Denkweise der Mafia richtet. Natürlich glauben wir bei alledem nicht, daß die genannten Übel sich durch ein gelegentliches einfaches, wohlwollendes Dokument oder durch den x- ten Schmerzensruf des großen kranken Staatskörpers beseitigen lassen; Doch immerhin kann dieser Aufruf zum Beginn eines Bewußtwerdungsprozesses und eines Kulturkampfes gegen die Bösartigkeit werden, die — sofern man ihr nicht ernsthaft entgegentritt — ein Staat im Staate zu werden droht: ein Staat der Barbarei in einem Staat der Schwäche und Komplizenschaft.

Was wir brauchen, ist eine machtvolle kulturelle Mobilisierung: es ist Zeit, daß sich die Stimmen der Intellektuellen, Schriftsteller, Dichter und auch all derer, die in einer grundlegend gegen die Mafia gerichteten Art und Weise lesen und schreiben, gemeinsam erheben zur Verteidigung des immer mehr ausgebeuteten, vergewaltigten, zerfetzten Landes.

Diese Stimmen werden dann selbstverständlich zuallererst diejenigen vor die Schranken des Tribunals zitieren, die innerhalb der Regierung und der Institutionen die vorrangige, spezifische Pflicht zur Garantie der Ordnung, der Gesetzlichkeit und des friedlichen Zusammenlebens aller Italiener haben — im Norden wie im Süden des Landes.

P.S.: Dieser Aufruf wurde von der Associazione culturale Allegorein, Rom, angeregt.

Biancamaria Frabotta, Alfredo Giuliani, Mario Luzi, Luigi Malerba, Elio Pagliarani, Jacquelin Risset, Amelia Rosselli, Edoardo Sanguineti, Mario Socrate, Paolo Volponi, Andrea Zanzotto

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