EU will weitermachen: Union der Fußnoten
Auch nach dem Nein der Iren soll die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags weitergehen - allerdings wurde kein Datum genannt. Das könnte Folgen für den Beitritt Kroatiens haben.
BRÜSSEL taz Das Ergebnis des Gipfeltreffens von Brüssel lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Das Problem wird vertagt. Unter keinen Umständen sollen die Iren bedrängt werden, rasch einen Weg aus der Krise zu weisen, der durch ihr Nein zum Lissabon-Vertrag entstanden ist. Dennoch wird der Text in den noch ausstehenden sieben Ländern den Parlamenten zur Abstimmung vorgelegt - wenn auch eine Woche nach dem geplatzten Referendum in Irland niemand richtig sagen kann, wozu das gut sein soll.
Die Regierungschefs haben bei ihrem Gipfel in Brüssel vor allem gesagt, was sie nicht tun wollen: Sie wollen Irland nicht isolieren oder gar zum Austritt aus der Union auffordern. Sie wollen die Erweiterung nicht fortsetzen, wie Luxemburgs Premier Juncker klipp und klar erklärte. "Einer der Gründe für den Lissabon-Vertrag war die Erweiterungsfähigkeit der Union", erinnerte er. Auch Frankreichs Präsident Sarkozy sieht keinen Spielraum für die Aufnahme neuer Mitglieder. "Nichts gegen Kroatien, aber für die Erweiterung brauchen wir eine Reform der Institutionen."
Sarkozy sieht sich nun einem unerwartet glanzlosen Präsidentschaftshalbjahr gegenüber. Von seinem Vorzeigeprojekt Mittelmeerunion ist nicht mehr viel übrig, seit mehrere arabische Länder angekündigt haben, dem neuen Club nicht beitreten zu wollen. Der lautstark angekündigte "Migrationspakt", der ein Gleichgewicht zwischen der Abschiebung illegaler Flüchtlinge und der Anwerbung dringend benötigter Arbeitskräfte schaffen soll, ist ohne Lissabon-Vertrag nur eine leere Hülle, da er nur einstimmig beschlossen werden kann.
Wie zäh sich der EU-Alltag derzeit gestaltet, zeigt der Kampf ums Kleingedruckte. Die Abschlusspressekonferenz startete gestern mit drei Stunden Verspätung, weil um den Wortlaut einer Fußnote gerungen wurde, die Tschechiens Regierungschef Topolánek verlangt hatte. "Die EU nimmt zur Kenntnis, dass die Tschechische Republik den Ratifizierungsprozess nicht abschließen kann, bevor das Oberste Gericht die Vereinbarkeit mit der tschechischen Verfassung festgestellt hat." Es sagt viel über den Zustand der EU aus, wenn hochbezahlte Regierungsvertreter an einem solchen Satz stundenlang feilen müssen, damit überhaupt eine einstimmige Schlusserklärung zu Stande kommt.
Den Wählern soll die EU mit der Zusage wieder schmackhaft gemacht werden, dass die EU-Kommission armen Familien, die besonders von der Ölpreiserhöhung betroffen sind, mit einem Nothilfepaket unter die Arme greifen will. "Die Hauptverantwortung zur Dämpfung der Krise liegt auf der einzelstaatlichen Ebene", betonte aber Ratschef Janez Jansa. Angela Merkel hatte sich strikt gegen EU-weite Steuersenkungen für energieabhängige Produkte ausgesprochen. Allenfalls Hilfen für besonders betroffene Gruppen seien denkbar. Sarkozy hingegen will die Mehrwertsteuer auf solche Produkte EU-weit einfrieren. Merkel und Sarkozy einigten sich nun darauf, dass die EU-Kommission "steuerliche Maßnahmen zur Dämpfung plötzlicher Ölpreiserhöhungen" prüfen soll.
Die Regierungen setzen also weiter darauf, mit praktischer Lebenshilfe die Bürger mit Europa zu versöhnen. Man dürfe nicht immer gleich aufgeben und nach radikalen Lösungen wie einem Ausschluss Irlands rufen, hatte die Kanzlerin nach dem Viertelfinalspiel Deutschland - Portugal gesagt. Mit der derzeit in Europa geübten Leisetreterei hätte die deutsche Mannschaft dieses Spiel aber ganz sicher nicht gewonnen.
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