EU-Innenminster beraten Grenzkontrollen: Die Rückkehr des Schlagbaums
Die EU-Mitgliedsstaaten wollen ihre Innengrenzen wieder bewachen dürfen – angeblich um Flüchtlinge aufzuhalten. Das EU-Parlament lehnt dies ab.
BRÜSSEL taz | Die Innenminister von Frankreich und Deutschland sind in der vergangenen Woche vehement kritisiert worden. Gegen ihren gemeinsamen Vorschlag der Wiedereinführung von Grenzkontrollen wandte sich neben anderen EU-Ländern auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): „Am Grundsatz der Freizügigkeit wird auf keinen Fall gerüttelt“, sagte sie dem Flensburger Tageblatt.
Nun bahnt sich ein Grundsatzstreit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament an: Die Mehrheit der Innenminister, die sich am Donnerstag in Luxemburg treffen, will, dass jede Regierung allein über die Wiedereinführung von Kontrollen entscheiden kann, wenn ihrer Meinung nach ein Ansturm von Flüchtlingen droht.
Die EU-Abgeordneten lehnen dieses nationale Verfahren strikt ab – auch die Mehrheit der Konservativen im Europäischen Parlament. Sie wollen zumindest eine Absprache auf EU-Ebene. Damit ist eine Auseinandersetzung vorprogrammiert. Denn sowohl die Minister als auch die Abgeordneten müssen einem neuen Gesetz für Schengen zustimmen. „Ich gehe stark davon aus, dass wir uns da verhaken“, sagt der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber, der sich für die deutschen Konservativen um das Dossier kümmert.
Ausgangspunkt der Diskussion ist der Vorschlag der Europäischen Kommission. Sie will, dass die Mitgliedsstaaten in Zukunft längerfristige Grenzkontrollen zuerst mit den übrigen Schengen-Staaten abstimmen und die Maßnahme letztendlich in Brüssel genehmigen. Dies geht allen Mitgliedsländern außer Litauen, der Tschechischen Republik und Italien zu weit.
Der angebliche Kampf gegen Kriminalität
Seit Wochen treten die Beratungen auf der Stelle. „Wir wollen die Gemeinschaftsmethode. Ich sehe da keine Bewegung bei den Mitgliedsstaaten. Aber wir haben die Unterstützung des Parlaments“, sagte die EU-Innenkommissarin Cecila Malmström der taz. Sie habe nicht vor, ihren Vorschlag zurückzuziehen, erklärte sie. Die Reisefreiheit sei eines der „höchsten Güter“ in der EU, die man schützen müsse.
Die EU-Kommission hat mit ihrem Vorschlag darauf reagiert, dass einige Mitgliedsstaaten eigenmächtig an den Grundfesten des Schengener Abkommens gerüttelt hatten: Frankreich machte die Grenzen dicht, als im April 2011 Zehntausende tunesische Flüchtlinge aus Italien ins Land strömten. Dänemark kontrollierte ebenfalls im vergangenen Sommer plötzlich wieder seine Grenzen. Als Grund gab auch Kopenhagen „Flüchtlingsströme“ sowie den Kampf gegen organisierte Kriminalität an.
Zum ersten Mal seit Einführung der Schengen-Regeln 1985 nahmen sich Mitgliedsstaaten diese Freiheiten heraus. Bis dahin gab es Grenzkontrollen nur in absoluten Ausnahmefällen, etwa bei Großereignissen wie dem G-8-Gipfel in Heiligendamm 2007 oder bei Fußballeuropameisterschaften. Dies ist nach dem Schengen-Recht auch erlaubt. Mehr aber nicht. Zumindest bisher.
Vor allem Deutschland und Frankreich wollen „Flüchtlingsströme“ nun auch als offiziellen Grund für die Schließung von Grenzen explizit in das Regelwerk aufnehmen. Die beiden Innenminister haben das in der vergangenen Woche in einem Brief bestätigt, den sie gemeinsam an die dänische EU-Ratspräsidentschaft geschickt haben. Entscheiden soll darüber allein und unabhängig die betroffene Regierung. Aber mit dieser Forderung werden die Innenminister im Europäischen Parlament scheitern.
Das Problem der Abstimmung
„Die Aufnahme von neuen Gründen gibt es nur, wenn die Länder sich mit der Gemeinschaftsmethode einverstanden erklären“, sagt der EU-Abgeordnete Manfred Weber. Sprich: Wenn Deutschland und Frankreich ihre Grenzen für Flüchtlinge dicht machen wollen, müssen sie akzeptieren, sich zumindest mit ihren EU-Kollegen abzustimmen. Wie genau diese Abstimmung aussehen soll, daran scheiden sich die Geister. Während die Konservativen im Europäischen Parlament schon eine „Koordinierung“ für ausreichend halten, wollen die Grünen und die Sozialdemokraten eine echte Entscheidungsbefugnis auf EU-Ebene.
Zurzeit werden verschiedene Modelle diskutiert. So könnte zum Beispiel ein Gremium der Schengen-Innenminister gemeinsam über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen an einer Binnengrenze entscheiden. Oder der betroffene Staat könnte gezwungen werden, sich zumindest mit seinen Nachbarn und der Europäischen Kommission zu beraten, bevor er Kontrollen einführt.
Eine weitere Möglichkeit wäre, dass die EU-Kommission entscheidet, die Mitgliedsstaaten aber ein Einspruchsrecht bekommen. Dass sich die EU-Innenminister schon am Donnerstag auf einen solchen Kompromiss einigen werden, ist äußerst unwahrscheinlich. Da Schengen in Frankreich zum Wahlkampfthema wurde, wird die französische Regierung bis nach der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen wohl kaum einen Millimeter von ihrer bisherigen Position abweichen.
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