: ES KLINGT SO WUNDERBAR
■ Die Zagreber Journalistin Vesna Kesic hat ihren Traum von Mitteleuropa in Berlin erstmal ausgeträumt
Genauso ein Gefühl wie Reinhard Fendrich, der irgendwo jenseits der Mauer singt „Frühling in Berlin. Es klingt so wunderbar...“, hatte ich, als ich vorigen Oktober zwei Tage lang hier war, so dachte ich jetzt, als ich die Platte im Goethe-Institut diesseits der Mauer hörte. Richtig begeistert war ich damals von Berlin E88, das als Stadt in der Mitte Europas Treffpunkt sein sollte, und besonders den kulturellen Austausch zwischen Ost und West ermöglichen wollte.
Ja, es klang alles so anziehend vorigen Oktober und dann beschloß ich: Im Frühling will ich wieder dort sein. Nur wie? In der derzeitigen jugoslawischen wirtschaftlichen und sozialen Krise, in der Mark und Dollar zu unerreichbaren Göttern geworden sind, ist niemand bereit, solche exzentrischen Wünsche zu erfüllen. Die Zeitungen, für die ich arbeite, könnten und wollten so eine Reise wohl kaum bezahlen. Eine Busfahrkarte könnte ich mir vielleicht noch selber leisten ... Es mußte doch irgendeine Möglichkeit geben!
Wieviel ist in der letzten Zeit auch bei uns in den „kleinen“ ost- und mitteleuropäischen Ländern über die europäische Kultur und die Zugehörigkeit zu ihr geredet worden! Dann kam mir die Erleuchtung: Nach Berlin mit einem Stipendium für einen Sprachkurs am Goethe-Institut! Deutsch lernen, der europäischen Kultur begegnen, jugoslawischen LeserInnen darüber berichten: Welch ein Traum von Europa!
Und dann mußte ich noch meine Redakteure davon überzeugen, daß diese Reise auch für die Zeitungen von Vorteil sein könnte. Allen Neigungen zur europäischen Kultur zum Trotz war dies nicht ganz einfach. Denn die Hochkultur, der reichen westlichen Staaten - egal ob sie vom Staat oder von großen Unternehmen finanziert ist oder auf auf dem Markt „bestätigt“ wird - ist nicht ganz so hoch geschätzt in Ländern, wo der Staat gern stark aber arm ist, die Unternehmer klein sind und deshalb weder ein kultureller noch ein anderer Markt richtig funktioniert. Seit der Staat im „Marktsozialismus“ Kultur nicht mehr unterstützen kann, orientiert sich diese am Konsum. Und so haben auch wir unsere und eure, eigentlich meistens eure Schwarzwaldklinkiken, Denver- und Dallas-Serien, die das Massenpublikum bevorzugt. Und um dieses müssen sich dann auch die Redakteure kümmern. Was geht das Massenpublikum das Berliner Theatertreffen, die großen Werkstattprojekte oder Kleist an? Wen interessiert denn das? Namen wie Bob Wilson, Syberberg, selbst Cunningham sind kaum je im Fernsehen aufgetaucht. Im Moment der Krise sind sie für Jugoslawien nicht rentabel.
Die Redakteure habe ich dann doch überzeugt, schließlich konnte ich sie mit Michael Jackson und Pink Floyd ködern. Mai und Juni in Berlin sein, das klingt so wunderbar.
Als das Problem im Osten gelöst war, habe ich angefangen an den westlichen Beziehungen zu arbeiten - ein paar Telefonnummern herausgesucht, Kulturprogramme gründlich durchforscht, Akkreditierungsanträge geschrieben. Dann wollte ich noch ein paar Tage vor Beginn des Sprachkurses in Berlin sein, um die letzte Aufführung von Syberbergs „Penthesilea“ und die „bis jetzt größte Beuys-Ausstellung“ zu sehen. Wegen der Pressekarte für „Penthesilea“ telefonierte ich noch aus Zagreb: Mindestens fünf Mal wurde ich von einem E88-Bürotelefon zum nächsten verbunden, um jeweils zu erfahren, daß es „ganz kompliziert und schwer“ sei, aber „wir werden es versuchen...“. Fast schon in Panik landete ich in Berlin und fuhr geradewegs zum Hebbel -Theater. Eine Karte wurde für mich besorgt, Gott sei Dank.
Am nächsten Tag ging ich sehr früh zur Beuys-Ausstellung. Stundenlang habe ich mich unter anderem gefragt, warum Beuys in Jugoslawien so wenig bekannt ist. Dabei sollten gerade Künstler wie Beuys, Heiner Müller und auch Syberberg in der sozialistischen Welt wichtig genommen werden. So habe ich mich dann auf die „historische Mission“ eingelassen, einen längeren Artikel mit vielen Bildern über das Werk von Beuys im bekanntesten jugoslawischen Magazin „Start“ zu veröffentlichen. Selbst der Redakteur war einverstanden. Am nächsten Montag, als die Ausstellung zwar schon abgebaut wurde, aber die Ausstellungsmacher noch da waren, rief ich im Gropius-Bau an, um einen Katalog zu bekommen. „Bei uns geht es so nicht. Die Pressekataloge werden bei der Eröffnung ausgegeben!“ Ziemlich arrogant wurde mir von der PR-Frau empfohlen, ich sollte mich an den Verlag in München wenden. Natürlich kaufte ich diesen verdammten Katalog für 40 DM.
Dann war das Theatertreffen. Und dafür - ich verstehe zwar auch nicht warum - hat man in Zagreb oder Belgrad, wo das BITEF stattfindet, verglichen mit allen anderen europäischen Theaterfestivals das meiste Interesse. (Auf dem weltweiten Festival BITEF werden schon seit 22 Jahren ausgewählte Inszenierungen aus der UdSSR und anderen Ländern Osteuorpas, aus Westeuropa, aus beiden Teilen Amerikas sowie aus China und Japan unter der Leitidee „Grenzüberschreitungen“ vorgestellt. Aber auch hier herrscht mittlerweile die Krise.) Ich selbst bin nicht das erste Mal beim Theatertreffen gewesen. Meine Akkreditierung ist mindestens zwei Wochen vorher abgeschickt worden und so glaubte ich, keine Probleme bei der Kartenvergabe zu bekommen und ging zur Pressestelle.
„Die Karten auf den Namen Keszchwg ... Nein, haben wir nicht. Ihren Akkreditierungsantrag auch nicht. Sie haben ein Einschreiben geschickt, sagen Sie ... Warten Sie mal. Ja, hier ist es, aber wir haben es negativ beantwortet. Wir haben von Ihrer Redaktion zwei Anträge bekommen.“ Beide wurden abgelehnt. Am selben Tag ist dann noch ein Journalist aus Zagreb angekommen. Jetzt waren wir insgesamt drei. „Was ist denn mit diesen Leuten, kommen die mit einem Bus hierher?“, wendete sich der Leiter des Pressebüros an seine Kollegin. Und ich, überzeugt daß ich nach meiner Reise gefragt wurde, antwortete: „Nein, so schlecht geht es uns dann doch noch nicht. Ich bin mit dem Flugzeug gekommen.“ Ich versuche zu erklären, daß ich für verschiedene Zeitungen des Verlages „Vjesnik“ schreibe, und daß der andere Kollege ein Theaterleiter ist, der schon jahrelang vom Theatertreffen berichtet, und daß... „So geht das bei uns nicht“, höre ich aber wieder, „es gibt einfach nicht mehr Karten“. Sie schienen beinahe persönlich beleidigt durch meine Anwesenheit. „Hm, ok“, sage ich und gehe.
Das östliche Desinteresse habe ich überwunden, jetzt war das westliche dran. Durch die Vermittlung eines deutschen Kollegen habe ich schließlich doch noch fast alle Pressekarten gekriegt und den Artikel über das Theatertreffen veröffentlicht. Selbstverständlich akzeptiere ich den persönlich unterschriebenen Brief des Herrn Pressebüroleiters, in dem von „gelegentlichen Engpässen bei der Pressekartenvergabe“ die Rede ist, und in dem ich mit Herr Kesic angesprochen werde.
Natürlich, kleine Tricks lernt man in diesem Beruf schnell. So habe ich bald entdeckt, daß alles ein bißchen leichter geht, wenn ich Englisch spreche, besonders am Telefon, obwohl mein Deutsch nicht so schlecht ist, als daß man sich nicht über ein paar Karten einigen könnte. Es sieht so aus, als ob Englisch auch in der kulturellen Kommunikation ein sprachliches Markenzeichen wäre.
Darüber, daß ich nie offiziell auf Parties, Feste und Empfänge eingeladen wurde, will ich mich ja gar nicht unbedingt beklagen. Aber warum mußte ich mehr als vier Wochen lang immer wieder um regelmäßige Benachrichtigung über Pressekonferenzen und Ausstellungs-Eröffnungen (wo ja, wie ich gelernt hatte, die Kataloge verteilt werden) bitten? Für die zwölfteilige Heiner-Müller-Werkschau hat man entschieden, daß mir drei Karten reichen. Die anderen habe ich, wie die für manche anderen E88-Veranstaltungen gekauft. Insgesamt habe ich mindestens 200 DM für Kataloge, Karten und Programme ausgegeben. Kennen Sie den westlichen Journalisten, der mehr als zwei Drittel seines Monatseinkommens ausgeben würde, um irgendwo in der Mitte Osteuropas zu beobachten, wie der Osten auf den Westen trifft. Ich nicht.
Viele KollegInnen aus Prag, Budapest, Sofia oder Poznan habe ich nicht getroffen. Mich würde interessieren wieviele Zeitungsleute aus Osteuropa über das Schriftstellertreffen „Ein Traum von Europa“ informiert worden sind, um über das, was dort geträumt wurde, zu berichten. Ich möchte nicht zu einer Paradefigur für „Osteuropa in Sachen E88“ werden. Ich will auch nicht behaupten, daß Osteuropa im E88-Programm nicht repräsentiert ist. Und wenn Osteuropa davon kaum etwas weiß, ist das natürlich auch sein eigenes Problem. Aber wenn schon Berlin E88 der Ort des kulturellen Austausches zwischen West und Ost sein soll, muß dann nicht auch dafür gesorgt werden, daß der Informationsfluß verbessert wird? Sonst bleibt die ganze Veranstaltung ein Schaufenster für die schöne neue kulturelle Identität Berlins, die zum Ausdruck bringen soll, daß es dort nicht nur Hausbesetzer und Straßenschlachten gibt.
Um was für ein Ost-West-Treffen und um was für einen Traum handelt es sich hier eigentlich? West-Berlin beschäftigt sich mit deutsch-deutschen Verhältnissen, mit Heiner Müller als einer Paradefigur für künstlerische und politische „Grenzgängerei“. Das finde ich zwar interessant, aber für die europäische Kultur wohl kaum genug. Wenn Heiner Müllers Werke nur als Stücke über die deutsche Geschichte oder die deutsch-deutschen Beziehungen zu verstehen sind, dann würde man sie nie im übrigen Europa spielen. Besonders nicht bei uns in Jugoslawien, das politisch weder zum Osten noch zum Westen gehört. Man spielt Heiner Müller aber auch bei uns, selten zwar, aber immerhin. Manche Interpretationen, die nicht aus Deutschland kommen, finde ich sogar interessanter, auch besser, gerade weil sie nicht mit „Deutschtum“ belastet sind.
Nur drei Karten für Heiner Müller! Oder ist das alles vielleicht nur eine Frage der Sensibilität einer fremden Frau in einer fremden Großstadt? Wahrscheinlich spielt auch das eine Rolle. Aber was ist denn die Kultur, wenn nicht eine Frage von Kommunikation und Sensibilität? Besonders gegenüber Fremden, sagen zumindest alle jene, die das Konzept einer neuen europäischen Kultur entwickeln wollen. Eine Kultur ohne den Anspruch auf diese Sensibiltät und auf die Entwicklung besserer Kommunikation, würden wir aus den kleinen ost- und mitteleuropäischen Ländern mit einem zu hohen Preis bezahlen, nicht nur mit Geld.
Vesna Kesic‘ dankt Barbara Martin und Stefan Leingärtner für ihre Hilfe bei der Übersetzung.
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