Marcoussistaz | Die Grußbotschaften nach Griechenland hatten schon eine besondere Note – gerade an diesem Abend. Portugals Trainer Fernando Santos bedankte sich, nur Minuten nachdem der Einzug ins EM-Finale feststand, vor diversen Kameras immer wieder für die Unterstützung seiner griechischen Freunde.
In Portugal zucken die Fußballfans noch heute zusammen, wenn sie den Namen dieses Landes hören, das mit dem wohl größten Trauma verbunden ist. Denn bei der EM 2004 im eigenen Lande war man, hoch favorisiert, gegen Außenseiter Griechenland gescheitert.
Dieser Juliabend in Lissabon ist weit über die Grenzen Portugals hinaus als Niederlage des Schönen gegen das Hässliche in Erinnerung geblieben. „Diese Art, Fußball zu spielen, mag ich ebenso wenig wie die meisten anderen Menschen, aber der Gegner war effektiver als wir“, haderte damals Luís Figo, der Anführer der sogenannten Goldenen Generation, nach dem Abpfiff.
Mit derartig güldenen Begrifflichkeiten würde das aktuelle Team der Portugiesen niemand schmücken wollen. Santos und sein Team werden in diesen Wochen vielmehr wie einst Griechenland mit dem Vorwurf hässlicher Siege konfrontiert. Und Santos wehrt sie mindestens so souverän ab, wie das deren früherer Coach Otto Rehhagel tat. „Ich bin lieber hässlich in Frankreich als schön zu Hause“, sagte er dieser Tage.
Ich bin sicher, dass kein Team bei der EM solch eine starke Einheit ist wie unseres
Fernando Santos, Trainer
Seine Grüße nach Griechenland hatten mit der tragischen Nacht von 2004 in Lissabon natürlich nichts zu tun. Der 61-Jährige hat 13 Jahre seiner Trainerkarriere in Athen und Thessaloniki verbracht und fühlt sich mit dem Land eng verbunden.
Viermal Trainer des Jahres in Griechenland
Zwischen 2010 und 2014 betreute er die griechische Nationalmannschaft und führte sie ins WM-Achtelfinale und EM-Viertelfinale. Mit Begrenzungen hat der Mann reichlich Erfahrungen gemacht. Als 21-Jähriger beendete er vorzeitig seine Profikarriere, weil er seinen hohen Ansprüchen nicht genügen konnte. Ohne Meriten musste er sich so über das Engagement bei kleinen Klubs einen Namen als Trainer machen.
Seit jeher hat er Übung darin, sich Strategien auszudenken, wie man auch besser besetzte Gegner bezwingen kann. In Griechenland hat ihm das mehr Anerkennung eingebracht, als er jemals in seiner Heimat erfahren hat. Viermal wurde er zum Trainer des Jahres gewählt, selbst in Spielzeiten, in denen er keine Titel vorweisen konnte.
Empfohlener externer Inhalt
Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden,
ob sie dieses Element auch sehen wollen:
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden.
Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt
werden.
Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung
Der studierte Elektrotechniker, der über ein Jahrzehnt als Ingenieur arbeitete, ist sehr dem funktionalen Denken verpflichtet. „Portugal hat immer einen Plan, immer!“, betonte er nach dem 2:0 Halbfinalerfolg gegen Wales. Und er kündigte da bereits an, das Spiel zwischen Frankreich und Deutschland genauestens studieren zu wollen.
Mit größter Robustheit
Jeder Spielplan von Portugal beginnt erst einmal damit, die Pläne des Gegners zu durchkreuzen. Der eigene Erfolg kann warten. Gegen Kroatien bis zur Verlängerung, gegen Polen bis zum Elfmeterschießen.
Schönheit ist in dem funktionalen Spiel der Portugiesen sowieso keine Kategorie von Bedeutung. „Jemand hat gesagt: ‚Ein Finale spielst du nicht, du gewinnst es.‘ So ist es“, erklärte Santos. Schon die Quartierauswahl, das nationale Rugbyzentrums Frankreichs in Marcoussis 30 Kilometer südlich von Paris, konnte man als Ansage verstehen, dass die Portugiesen dieses Turnier mit größter Robustheit bestreiten wollen.
EMtaz: Und raus bist du!
Die Ästhetik des Scheiterns: Antoine Griezmann nach dem Finale. Was für ein grandioses Turnier für Frankreich.
Foto:
dpa
Raus im Halbfinale. Der Weltmeister auf dem Niveau von Wales. Aber: Vorher gegen Italien gewonnen, starkes Achtelfinale gegen die Slowakei. Gruppenphase ganz okay. Gutes Turnier, trotz alledem.
Foto:
dpa
Wir zitieren an dieser Stelle aus Gründen einfach mal den Fan-Chant der Waliser: "Don't take me home, please don't take me home. I just don't wanna go to work, I wanna stay here and drink all ya beer! Please don't, please don't take me home!" Schön, dass ihr da wart und so lange geblieben seid. Danke.
Foto:
dpa
Raus mit ganz viel Applaus und einem letzten UH! Kolbeinn Sigthorsson und Island sind nach Wales das größte Überraschungsteam dieser Euro. Nach dem 2:5 im Viertelfinale gegen Gastgeber Frankreich geht's zurück auf die Insel.
Foto:
dpa
Flogen nach endlosem Elfmeterschießen gegen Deutschland im Viertelfinale raus: die Italiener. Als Gianluigi Buffons Tränen nach dem verwandelten Elfer von Jonas Hector auf der Videowand im Stadion gezeigt wurden, gab es Szenenapplaus. Schnüff.
Foto:
ap
Im Viertelfinale gegen Wales traf Belgiens Radja Nainggolan zum 0:1. Reicht sicher, dachten sich die Belgier daraufhin und hauten die Handbremse rein. Das ging gehörig schief, Wales' Kicker Williams, Robson-Kanu und Vokes drehten den Spieß um, 3:1 für die Dragons! Nainggolan und Co. packten die Koffer.
Foto:
dpa
Endstation im Elfmeterschießen: Was bei den Polen im Achtelfinale noch gut klappte, wurde ihnen im Viertelfinale zum Verhängnis. Mit 3:5 unterlag die Mannschaft von Trainer Adam Nawalka Portugal. Die Tore in der regulären Spielzeit hatten Lewandowski und Sanches erzielt. Vom Punkt verfehlte nur Jakub Blaszczykowski (2. v.r.).
Foto:
ap
Hat Spaniens Trainer Vicente del Bosque den Achtelfinalgegner Italien unterschätzt? Mit 0:2 schied Spanien aus, wenig souverän wirkte der Titelverteidiger dabei. Sechs Punkte in Gruppe D, die Schwächen des Teams waren schon bei der Gruppenniederlage gegen Kroatien sichtbar.
Foto:
dpa
Wieder nur das Achtelfinale erreicht: Mit 1:2 nach 1:0-Führung schied England aus – gegen Island. Vor dem Turnier hochgelobt, erwies sich England in der Vorrunde in Gruppe B als spielstarkes Team, das aber aus vielen Torchancen zu wenig zu machen wusste.
Foto:
reuters
Applaus trotz Aus: Ungarn hatte beim 0:4 im Achtelfinale gegen Belgien keine Chance. Trotzdem war das Turnier für die Mannschaft ein großer Erfolg. In ihrer Gruppe ließen sie Portugal, Österreich und Island hinter sich. Besonders beim 3:3 gegen Portugal hat das Team um Coach Bernd Storck alle Fans mitgerissen.
Foto:
ap
Mit Kind und Kegel heim fuhr die Slowakei nach dem 0:3 im Achtelfinale gegen Deutschland. Die Löw-Elf hatte das Team um Marek Hamsik im Griff, da half auch der furchteinflößende Blick von Kapitän Martin Skrtel nix. Zuvor ein starker Auftritt in Gruppe B, Sieg gegen Russland, vier Punkte, Platz 3.
Foto:
reuters
Bittere Tränen weinte Irlands Torwartkoloss Darren Randolph nach dem verlorenen Achtelfinale gegen Frankreich. Dabei hat sich sein Team nix vorzuwerfen: Kämpferisch in allen Spielen top, fehlte dem Tabellendritten der Gruppe E letztlich einfach die spielerische Qualität. Die lautstarken und fairen irischen Fans werden dem Turnier fehlen.
Foto:
dpa
Unsanft gelandet ist Kroatien im Achtelfinale gegen Portugal. Gegen Spanien überzeugten die Kroaten noch spielerisch, galten als Erster der Gruppe D als Titel-Mitfavorit und dann das: Gegen die Defensivtaktik von Fernando Santos fanden sie kein Mittel, der Trainer stellte sein Team falsch auf, ein und um. Kroatien blieb ein Versprechen.
Foto:
ap
Schluss im Achtelfinale war auch für Nordirland. Dabei zeigte der Underdog im Inselduell gegen Wales, dass er auch offensiv spielen kann – nur ein Eigentor verhinderte ein noch größeres Wunder. Größtes Verdienst: die inoffizielle EM-Hymne "Will Grigg's on fire". In Gruppe C mit 2:2 Toren und drei Punkten als Tabellendritter weitergekommen.
Foto:
reuters
Upsi – das Achtelfinal-Aus der Schweiz war ein Unglückliches. Granit Xhaka verschoss seinen Elfmeter gegen Polen. Dabei war das Spiel gegen Polen das ansehnlichste Schweiz-Spiel. Shakiris Fallrückzieher aus 16 Metern ist das bislang schönste Tor des Turniers. Zuvor 2:1 Tore, fünf Punkte, Zweiter in Gruppe A.
Foto:
reuters
Aus dem Fernsehen erfahren, dass man raus ist: Albanien. Gruppe A, 1:3 Tore, drei Punkte. Der Eindruck täuscht ein wenig. Für Albanien war bereits die Qualifikation ein Erfolg, der Sieg gegen Rumänien die Kirsche auf der Torte. Ganz fürs Achtelfinale gereicht hat es nicht. Dafür hätte etwas mehr kommen müssen als ein Tor.
Foto:
ap
Türkei, Gruppe D: 2:4 Tore, drei Punkte. Wie Albanien schaffte es auch die Türkei nicht unter die vier besten Gruppendritten. Trainer Fatih Terim war frustriert. Dabei hat er seine Spieler häufig auf den falschen Positionen aufgestellt. Nur gegen Tschechien konnte die Türkei durchgehend überzeugen. Zu wenig.
Foto:
dpa
Österreich, Gruppe F: 1:4 Tore, ein Punkt. Die erweiterte Bundesligaauswahl versteckte sich besonders im Angriff zu oft. Torwart Robert Almer war der Held gegen Portugal, Tore schießen konnte er allerdings auch nicht. Österreich blieb eine einzige Enttäuschung.
Foto:
dpa
Schweden, Gruppe E: 1:3 Tore, ein Punkt. Die Nationalmannschaftskarriere des großen Zlatan Ibrahimovic hat kein Happy End. Zu häufig war er in der Offensive auf sich allein gestellt. Sinnbildlich: Das einzige schwedische Tor war ein Eigentor der Iren. Vorlagengeber: Ibrahimovic, natürlich. Mach's gut, Zlatan.
Foto:
ap
Tschechien, Gruppe D: 2:5 Tore, ein Punkt. Definitiv zu wenig. Große Comeback-Qualitäten nach einem 0.2-Rückstand gegen Kroatien. Das war's dann aber auch.
Foto:
ap
Gruppe C, Ukraine: 0:5 Tore, null Punkte. Spielerisch besser, aber vom Ergebnis her schlechter als Russland. Au weia.
Foto:
dpa
Schnell raus waren die Russen in Gruppe B: Zwei Tore geschossen, aber sechs kassiert, nur ein Punkt in der Vorrunde. Fünf gute Minuten gegen England, darauf lässt sich für die WM 2018 in Russland aufbauen.
Foto:
ap
Waren als Erste weg, die Rumänen. Kein schlechtes Eröffnungsspiel gegen Frankreich, aber dann: Nur ein Tor geschossen, einen Punkt geholt (gegen die Schweiz) und im entscheidenden Spiel um Platz 3 in der Gruppe A gegen Albanien verloren.
Foto:
reuters
Santos’ Art, Fußball spielen zu lassen, ist von seinen positiven Griechenlanderfahrungen bestärkt worden. Das portugiesische Team verfügt zwar mit seinen technisch auf höchstem Niveau ausgebildeten Spielern über ganz andere Möglichkeiten, erzielt jedoch auch bei dieser EM die besten Ergebnisse, wenn es sich selbst beschränkte. In der Vorrunde, als man gegen Island, Österreich und Ungarn mit seiner Überlegenheit nichts anzufangen wusste und jeweils Remis spielte, musste sich das Team noch Spott gefallen lassen.
Ronaldo, Teamplayer eines Underdogs
Auch wenn Frankreichs Trainer Didier Deschamps die Favoritenrolle für das Finale nicht annehmen wollte, werden die Portugiesen vermutlich wieder den Defensivfußball eines Außenseiters spielen und darauf vertrauen, dass sie ihre Nachteile durch eine bessere taktische Ausrichtung kompensieren können, so wie das Griechenland 2004 gegen Portugal geschafft hat.
Die Elf der EMtaz
Manuel Neuer ist der beste Torwart der Welt. Die Italiener haben das spätestens im Elfmeterschießen gelernt. Gegen Frankreich patzte er dann und sein Gegenüber Hugo Lloris wuchs über sich hinaus. Er bleibt trotzdem die Nummer Eins – noch.
Foto:
dpa
Pepe nimmt keine Gefangenen. Alles was ihm in den Weg kommt, wird – meist mit fairen Mitteln – niedergemetzelt. Ohne ihn wäre Portugal nicht so abwehrstark.
Foto:
ap
Auch Giorgio Chiellini gehört zu den besten Innenverteidigern des Turniers. Zweikampfstark, hart aber fair, auch vorne gefährlich, unermüdlich. Wenn er doch mal müde wird, bringt er vorher noch Chuck Norris ins Bett.
Foto:
ap
Seine Rettungsaktion war eine der spektakulärsten Szenen der EM. Aber nicht nur deshalb gehört Boateng in die Elf des Turniers. Unser Abwehrchef, den wirklich Jeder als Nachbar haben möchte, war über die Spiele hinweg eine starke Stütze für das deutsche Team und bewies seine Zweikampfstärke.
Foto:
REUTERS/Gonzalo Fuentes
Beste Noten erhielt auch Polens Außenverteidiger Lukasz Piszczek. Macht hinten dicht, nach vorne stark mit guten Flanken, laufstark.
Foto:
reuters
Aron Gunnarsson. Seine Einwürfe könnten auch Ecken sein, außerdem ist er der Kapitän der „Huh!“-Isländer.
Foto:
dpa
Neben Bale ist Ramsey der Starspieler von Wales. Auch dank ihm sind die Waliser bis ins Halbfinale gekommen.
Foto:
REUTERS/Pascal Rossignol
Dimitri Payet hat bereits drei Tore während der EM geschossen, er ist kreativ und dribbelstark. Außerdem bekennender Fetischist, er küsst gerne die Schuhe von Griezmann.
Foto:
dpa
Gareth Bale, Waliser, schnell, unfassbar schnell. Außerdem ein guter Freistoßschütze, ein Mann des unermüdlichen Einsatzes und ein offensiver Mittelfeldspieler, der stets mehrere Abwehrspieler bindet.
Foto:
reuters
Cristiano Ronaldo war ohne Frage einer der Spieler des Turniers. Man hat ihn nicht nur zum ersten Mal als Mensch wahrgenommen, er war auch spielerisch stark und zeigte seine Leistung vor allem gegen Ungarn. Nach seiner Spielerkarriere könnte er auch ein guter Trainer werden, was er im Finale bewies.
Foto:
ap/Martin Meissner
Antoine Griezmann, Frankreich. Sechs Einsätze, sechs Tore, davon zwei im Halbfinale gegen Deutschland. Der bisher mit Abstand stärkste Spieler des Turniers.
Foto:
ap
Der Wahlgrieche Fernando Santos ist sehr optimistisch, dass dies gelingen kann. Schon vor dem Viertelfinale hat er gesagt: „Ich bin mir sicher, dass kein Team bei der EM hier solch eine starke Einheit ist wie unseres.“
So könnte der dreifache Weltfußballer Ronaldo, der 2004 als 19-Jähriger für Portugal im Finale auf dem Platz stand, nicht nur seinen größten Erfolg mit der Nationalmannschaft feiern, sondern auch noch als Teamplayer eines Underdogs in die Geschichte eingehen. All das wäre fast so wundersam wie der Erfolg von Griechenland vor zwölf Jahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei!
Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!