: ELISEO DIEGO
„Es ist nicht klug, die Dämmerung mit dem guten Willen der Zeit zu verwechseln“, hat Eliseo Diego einmal, etwas obskur, formuliert. Aber die Zeit ist der opake, manchmal auch durchscheinende Fond fast aller seiner Gedichte, vom frühen „Schon gehen sie“ bis zu seinem „Testament“, das den Nachkommenden Zeit als wichtigstes Erbgut hinterläßt. Immer wieder versuchte er, Lebenszeit und historische Zeit, das eigene Befinden und „das unendliche Schweigen da draußen“ aufeinander zu beziehen.
Bereits zu Lebzeiten des kubanischen Nationaldichters Nicolas Guillén galt der 1920 in Havanna geborene Eliseo Diego als „der andere große Lyriker Kubas“. Doch sucht man bei ihm vergeblich die wilde Metaphorik karibischer und lateinamerikanischer Dichter. Das Barocke, die Hitze, afroamerikanische Mythen, Politik, Korruption und Revolution fehlen in seiner Lyrik fast gänzlich, sind allenfalls unter der Oberfläche aufzuspüren. Als verkrachter Jurastudent hatte er sich in den 40er Jahren der von José Lezama Lima gegründeten literarischen Gruppe „Origines“ angeschlossen, die die gleichnamige Zeitschrift von 1944 bis 1956 herausgab. Diego spricht von dieser Zeit als „der diabolischen Farce der vierziger Jahre... wo der Professor ein Krämer, der Politiker ein Dieb, der Regierende eine Marionette und die Nation selber eine Tragikomödie war.“ Und „wir jungen Leute, die wir uns damals um das unerbittliche Streben José Lezama Limas nach künstlerischer Reinheit scharten, taten dies mit der fanatischen Entschlossenheit, endlich etwas zu schaffen, was auch wirklich das war, was es zu sein vorgab.“ Er schlägt sich mit Englischunterricht durch und veröffentlicht seine ersten Gedichtbände. Nach der Revolution arbeitet er in der Nationalbibliothek und lehrt nordamerikanische Literatur an der Casa de las Americas. Vorübergehend nimmt er Funktionen im Schriftstellerverband UNEAC wahr, bis er wieder in eine relative politische Marginalität zurückkehrt. Für ihn, den praktizierenden Katholiken, sind Augustinus, Franz von Assisi, Ernesto Cardenal und der kolumbianische Guerillero und Priester Camilo Torres Vorbilder für das eigene Schreiben. Er glaubt an die Poesie, an das Gedicht als „Fünkchen von unaussprechlicher Hoffnung.“ Im Vorwort zu seinen Erzählungen formuliert er diesen Glauben so: „Ich habe mein Leben lang mit Worten gearbeitet, und ich bedauere es nicht, noch schäme ich mich dafür, denn Wörter sind nichts anderes als ein Material wie Holz oder Eisen, und mit Wörtern, Holz oder Eisen kann man dem Menschen dienen und die Welt durch Schönheit bereichern.“ Eliseo Diegos Gedichte mögen im Aufscheinen beim ersten Lesen traditionell, fast einfach erscheinen. Sie sind es nicht. Mit aufmerksamer Geduld, mit reicher Kenntnis früherer Dichtung – von Gongora bis Ruben Dario –, mit List, mit Liebe und harter Arbeit am Text verwandelt er unmittelbar Erlebtes in emotionale und gedankliche Betroffenheit. Joachim Sartorius
Bibliographischer Hinweis: In der ,Edition Neue Texte‘ des Aufbau-Verlags hat Hans-Otto Dill 1984 einen Band mit ausgewählter Lyrik und Prosa Eliseo Diegos herausgebracht. Dieser Band „In meinem Spiegel“ ist vergriffen; eine Neuauflage wäre wünschenswert.
In spanischer Sprache: E. Diego, Poesia, Letras Cubanas 1983 und Entre la dicha y la tiniebla, Antologia Poetica, Mexiko, 1986.
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