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ELF SPEZIFISCHE HANDGRIFFE

■ „Kopf-Arbeit“ - eine Ausstellung zum Friseurhandwerk im Museum für Verkehr und Technik

Merkwürdige Dinge begegnen einem im „Museum für Verkehr und Technik“ wie das „hydrodynamische Paradoxon“ oder die „Urschreimaschine“, ein Holzkasten mit Trichter und merkwürdiger Apparatur: „Denken Sie über ihr Alter und ihr Geschlecht nach“, steht auf einer Tafel, „stellen Sie den Schalter entsprechend auf Mann, Frau oder Kind. Röhren Sie mit tiefer Tonlage in den Trichter.“ Irgendwas passiert dann. Selbst in der von Christina Trupat während eines Volontariats konzipierten Ausstellung „Kopf-Arbeit“ - zur Entwicklung des Friseurwesens seit 1871 - hört man das Geröhr.

Mit der Gründung des deutschen Reichs war endgültig die Gewerbefreiheit eingeführt, die Beschränkungen durch mittelalterliche Zunftgesetze waren abgeschafft worden. Vor ungefähr 1.000 Jahren bildeten sich für bestimmte Aufgaben des Alltags Spezialisten heraus. Auch die Belange der Körperpflege wurden aus dem Haus in die öffentlichen Badestuben verlagert. Bader und Barbiere organisierten sich um 1400 in eigenen Zünften. Sie waren nicht nur fürs Bart oder Kopfhaar zuständig, sondern nahmen auch medizinische Behandlungen vor, die den an den Universitäten approbierten Ärzten verboten waren und die der „Feldscher“, den es in der NVA zumindest noch gibt, auch heute noch wahrnimmt. Fünf Teller als Zeichen wiesen im 19. Jahrhundert darauf hin, daß der Barbier sich auch zur sogenannten niederen Chirurgie, zum Zähneziehen, zum Klistieren bei Hartleibigkeit, zum Aderlassen und Schröpfen bereit hielt. Diese Tätigkeiten galten als unrein, Barbiere und Bader damit als unehrliche Berufe.

Die anderen beiden Vorläufer des Friseurberufs, Perückenmacher und Damenfriseur, kamen zur Zeit des Barock in Frankreich auf. Da ihre Arbeit für die Repräsentationswünsche des Adels von großer Wichtigkeit waren, genossen sie hohes Ansehen. Nach der französischen Revolution, als die alten Zöpe wortwörtlich abgeschnitten wurden, verloren sie an Bedeutung.

Die Ausstellung konzentriert sich auf die „Entwicklung und den Wechsel der elf typischen Friseurarbeiten: Ondulieren, Haarewaschen und -trocknen, Haareschneiden, Frisieren, Heiß und Kaltwelle, Frisieren, Rasieren, Haarefärben, Maskenbildnerei, Kosmetik usf.“ Ein Bereich schildert die Arbeit mit fremdem Haar; auf Bildern sieht man wunderschöne „Postiches“, kunstvoll arrangierte Haarungetüme, die unter Einfügung fremder Haarteile im neunzehnten Jahrhundert hergestellt wurden; man erfährt, daß erst seit den zwanziger Jahren die Verwendung von Haarersatz sich hauptsächlich auf Menschen beschränkte, die nicht genügend eigenes Haar hatten, und wird eingeführt in die Perückenproduktion und ihre Feinheiten. Einige Leichenhaarkunstwerke verwesen am Rande.

Das Wort Friseur kommt von Kräuseln: mit seiner neuen Ondulationsmethode, die er 1872 erfand, konnte Marcel Grateau Millionär werden. Er erfand neue Ondulationseisen, Brennscheren, die in Vitrinen zu sehen sind. „Um seine Erfindung geheimzuhalten, ondulierte er zunächst nur in geschlossenen Kabinetten.“ Nachteil der Methode war, daß sich die Haare nach dem nächsten Waschvorgang wieder glätteten. Für Abhilfe sorgte Charles Nestl. Bei seinem 1908 zum Patent eingereichten Verfahren mußten die Strähnen zunächst mit einer alkalischen Lösung befeuchtet werden, die sie aufquellen ließ. Dann wurden sie gewickelt und durch übergestülpte Heizer erhitzt. Was rauskam nannte man Dauerwelle.In den zwanziger Jahren entwickelten die Heizer der Geräte Temperaturen bis zu 500 Grad und es kam nicht selten zu Verbrennungen des Haares oder der Kopfhaut.“ Eine der wichtigsten Einnahmequellen der Barbiere waren Bartpflege und Rasieren. „Die Bartmode schuf phantasievolle Gebilde von denen das bekannteste der beständig nach oben strebende „Es ist erreicht!„-Schnurrbart Kaiser Wilhelms II. war. Bis 1901 der Amerikaner King Camp Gillette einen Apparat für die Naßrasur zum Patent anmeldete. In diesem Ausstellungsbereich finden sich Barttassen, Barthalter, Messer, Rasierer, Streichriemen.

Das Haartrocknen war eine eigene Wissenschaft; Haartrocknermaschinen, ein Handhaartrockenapparat mit Spirituslämpchen, seltsame Raumpatrouillenröhrentrockenhauben aus den dreißiger und vierziger Jahren demonstrierten Technikbegeisterung.

Haarshampoo kam erst mit der Industrialisierung, mit der verdreckten Verstädterung des Großstädters auf. Erst in den dreißiger Jahren wurde seifenfreies Shampoo entwickelt und erst seit den siebziger Jahren kamen Shampoos auf den Markt, die das tägliche Haarwaschen ohne Schäden für Haar und Kopfhaut ermöglichten. Wunderschön ist das Bild auf einer Haarshampooaufbewahrschachtel: Ein glücklicher kleiner Junge lugt inmitten einer sich mitfreuenden Geschwisterschar neckisch unter dem Schaum hervor.

Der Friseursalon von 1925, den Heinz Woehlert bis in die frühen siebziger Jahre führte, gehört mit seinen großen Kristallspiegeln, Marmorplatten, Glasschränken, zum Exklusivsten, was die Friseureinrichtungsbranche damals zu bieten hatte.

Im Ausstellungskatalog erfährt man Wichtiges zur Rolle der Frau im Friseurgewerbe, das mit einem derzeitig über 90prozentigen Anteil weiblicher Auszubildender typischer Frauenberuf ist.

An einer Wand hängt großformatig das Photo eines Frisierwettbewerbs im Sportpalast aus den dreißiger Jahren. Mehrere tausend Frauen frisieren um die Wette.

Detlef Kuhlbrodt

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