EISSCHNELLLAUF-Newcomer: Meteoriten im Anflug
Stephanie Beckert, 21, und ihr Bruder Patrick, 19, fahren gemeinsam zu den Winterspielen. Sie haben in dieser Saison ihre Zeiten explosionsartig verbessert.
Es herrscht Betrieb in der Erfurter Eislaufhalle. Das niederländische Team TVM zieht auf der 400-Meter-Bahn seine Kreise. Sechs Kapuzenmänner zischen vorbei. Dutzende Klappschlittschuhe sorgen in der Gunda-Niemann-Stirnemann-Halle für eine Kakophonie der Klacklaute. Ab und zu brüllen Trainer Anweisungen. Auch die deutsche Schlittschuhelite trainiert in Thüringen, bevor es Anfang Februar nach Vancouver zu den Spielen geht. Die Namenspatronin des Ovals plaudert im Innenraum mit Athleten; sie arbeitet mittlerweile als Trainerin für den Nachwuchs im Erfurter Eissportclub. Eine Läuferin stürzt, rappelt sich auf und lacht.
Die Geschwister Beckert sind bereits runter vom Eis. Es ist gerade mal halb elf. Ihr Eistraining ist schon vorbei. Patrick Beckert, 19, und Schwester Stephanie, 21, müssen jetzt allerdings eine Einheit absolvieren, die ihnen gar nicht liegt: Ein Interview mit einem Journalisten steht an. Stephanie Beckert hat die schwarze Mütze tief in die Stirn gezogen, sie schaut skeptisch, während des Gesprächs behält sie das Textil auf. Still tappen sie neben dem Gast her, auf der Suche nach einem ruhigen Raum. Irgendwann im Lauf des Gesprächs, das, vorsichtig ausgedrückt, schleppend verläuft, wird Stephanie Beckert sagen: "Diese Interviews, die sind für mich immer noch ungewohnt, es ist immer noch so, dass ich nicht richtig locker bin. Es ist zwar schön, sich im Fernsehen und so zu sehen, aber aufgeregt bin ich davor immer noch." Während Patrick Beckert mit der Zeit zugänglicher wird, bleibt seine Schwester einsilbig und verschlossen. Reden ist nicht ihre Sache. Das wird schnell klar. Ihre Aufregung maskiert sie mit einer undurchdringlichen, Desinteresse vortäuschenden Miene.
Beide haben sich für die Spiele in Vancouver qualifiziert. "Besser konnte es nicht laufen", sagt sie knapp. Beim Weltcup in Calgary hat sie die gesamte Weltelite über 3.000 Meter geschlagen. Sie hat die kritische Vierminutenmarke durchschlagen wie ein Meteorit die Stratosphäre. 3:56,80 Minuten stand an der Anzeigetafel. Deutscher Rekord. Schneller als die mehrmalige Olympiasiegerin Claudia Pechstein, die in den vergangenen Monaten nur durch juristische Scharmützel Aufsehen erregte und wegen Blutdopings nicht in Kanada mitlaufen darf. Auch Patrick Beckert lief schnell, so schnell wie noch nie. In der Höhe von Calgary brach er um ein Haar den deutschen Rekord über 5.000 Meter. "Das ist jetzt schon etwas aufregend", sagt er.
Sie sind nicht das erste Geschwisterpaar im deutschen Eisschnelllauf, es gibt auch Anni und Jan Friesinger, dennoch sind die Beckerts eine besondere Familie. Schon die Mutter hat auf Kufen gestanden, und jetzt laufen neben Patrick und Stephanie auch noch Pedro, 13, und Jessica, 15. Aufgehört haben Pascal, 17, und Pierre, 23. Stephanie Beckert stand schon mit zwei auf dem Eis, sie versuchte sich als Pirouetten drehende Kunstläuferin, doch mit sieben wechselte sie zu den Schnellläufern. Patrick war zuerst Eishockeyspieler, dann wollte er wie seine Schwester auf langen Kufen stehen. Der Vater, ein ehemaliger Handballspieler des TSV Motor Erfurt-Gispersleben, managt die Geschwister ein wenig. Möglicherweise fahren sie einmal zu viert zu Winterspielen. Als olympisches Familienquartett. Aber das ist den beiden, Patrick und Stephanie, die sich tapfer durchs Interview quälen, zu weit gedacht.
Die Hauptgefreite der Bundeswehr und der angehende Polizeimeister blicken jetzt nur auf Vancouver und die Rennen in Richmond. Im dortigen Olympic Oval könnte sie eine Medaille gewinnen. Sie beschwichtigt jedoch: "Ich will meine Zeiten erreichen, und dann werde ich sehen, wo ich stehe. Wichtig ist halt, dass ich von mir sagen kann, alles gegeben zu haben und ich mit der Zeit zufrieden bin." Er will "nur Erfahrungen sammeln". Es sind mentale Hilfskonstruktionen, um mit dem besonderen Druck bei Olympischen Spielen umzugehen. Insgeheim weiß sie genau, dass nicht die Zeit, sondern nur die Medaille zählt. Und so eine wertvolle Plakette könnte sie gewinnen. Aber davon will sie nicht reden, lieber von ihrem banalen Erfolgsgeheimnis: "Ich habe halt fleißig trainiert und die Sachen gemacht, die auf dem Plan standen." Auf dem Plan von Trainer Stephan Gneupel, bei dem die beiden trainieren, sie seit zwei Jahren, er seit einem Jahr, stehen Dinge wie B1, B2 oder SR, verschiedene Trainingsreize, die sklavisch umgesetzt werden.
"Sie ist extrem ehrgeizig", sagt Gneupel, "manchmal ist sie sogar zu ehrgeizig, Weglassen kann sie ganz schlecht." Ob sie eine Medaille gewinnt? Wer weiß, sagt der Trainer und spricht eine Mahnung aus: "Gefährlich wirds für junge Athleten erst nach einem erfolgreichen Olympiaauftritt, wenn ihnen alle auf die Schulter klopfen und die Manager antanzen." Er will sein Möglichstes tun, um zu verhindern, "was bei Nils Schumann passiert" ist, dem Erfurter Olympiasieger über 800 Meter, der nach seinem Wunderlauf von Sydney nie mehr richtig in Form kam.
Beide hätten "ein tolles Gefühl für den Körper", wechselt Gneupel das Thema. Doch das nutzte Patrick Beckert im Frühjahr auch nichts. Ein Lendenwirbel hatte sich entzündet, der Schmerz strahlte ins Knie aus. Er konnte weder Eis laufen noch Rad fahren. Gneupel schickte ihn ins Schwimmbad, dort habe er "das Wasser in sämtliche Moleküle zerlegt". Beim Skirollertraining hat er sich die Hände bis aufs Fleisch durchgescheuert. Im Sommertrainingslager in Livigno wollte er, wie Gneupel sagt, "fast schon den Löffel abgeben", also aufhören, aber der 19-Jährige hat sich durchgebissen, was Gneupel in Hochstimmung versetzt: "Was er da auf sich genommen hat, ist unfassbar. Dass ich den noch mal hingekriegt habe, also darauf bin ich stolz", sagt er. Dank der offenbar sagenhaften Beckertschen Disziplin habe Patrick anschließend "Belastungen hingekriegt, die Klasse geatmet haben". Das alles passt zum Motto des Newcomers: "Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren", zitiert er. Und es passt zu seinem Vorbild Chad Hedrick, dem US-Eisschnellläufer mit dem "Kämpferherz".
So ein Vorbild hat seine Schwester nicht, aber sie hat einen Hund, einen Labrador namens Trixi. Als das Aufnahmegerät nicht mehr läuft, spricht sie über den Vierbeiner, zögerlich, zurückhaltend. Für sie muss diese Plauderei eine unerhörte Preisgabe von Privatem gewesen sein. Danach ist sie entlassen. Frei. Sie kann wieder trainieren.
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