EINWANDERUNG: SCHILY TRIFFT DIE UNION, UND DIE GRÜNEN FREUEN SICH: Befreiung aus der Konsensfalle
Innenminister Otto Schily lässt keine Gelegenheit aus, seine früheren Parteifreunde zu provozieren. Kaum hatten es die Grünen nach langem Zögern doch noch gewagt, gegen Schilys Zuwanderungspläne zu protestieren, da kündigt der Innenminister einen neuen „Einwanderungsgipfel“ an – mit CSU-Hardliner Beckstein, dem bayerischen Innenminister. Gleichzeitig weist Schily die Bitten der Grünen nach einer längeren Beratungszeit zurück. Und führende Sozialdemokraten sagen, die Grünen spielten bei der Einwanderung sowieso keine Rolle. „Das ist doch der Gipfel!“, müssten die Grünen rufen, die eine Zuwanderungsregelung rein nach Nützlichkeitskriterien befürchten. „Mit wem regiert die SPD eigentlich? Mit uns oder mit der Union?“ Doch der Aufschrei bleibt aus, und das hat gute Gründe.
Denn wenn Schily weiter auf die Union zugeht, kann das den Grünen nur recht sein. Es bietet ihnen die Chance, wieder erkennbar zu werden. Was kann bei Gesprächen zwischen Schily und Beckstein schon herauskommen? Ein humaneres und liberaleres Einwanderungsrecht wohl kaum – eher eines, das noch weiter entfernt ist von grünen Positionen. Ein solcher Rechtsruck aber kommt für die Grünen nicht in Frage; die Schmerzgrenze ist schon jetzt überschritten, die Parteibasis rebelliert. Denn schon Schilys erster Entwurf sah Erleichterungen nur für solche Ausländer vor, die der Wirtschaft nützen. Es war ja kein Zufall, dass die Union zunächst so laut gejubelt hat.
Es ist aber auch kein Zufall, dass die Union inzwischen Schilys ersten Entwurf wieder ablehnt und weitere Forderungen stellt. Sie will auf das Wahlkampfthema Zuwanderung nicht verzichten. Wie sie das den Unternehmern erklärt, ist ihre Sache. Für die Grünen aber ist es günstig.
Denn es befreit sie aus der Konsensfalle. Bei Schilys Entwurf hätten die Grünen mit einigen Nachbesserungen wohl noch mitgemacht, weil sie nicht als Blockierer gelten wollten. Erst nach dem Nein der Union trauten sich auch die Grünen wieder eine eigene Position zu. Jetzt dürfen sie nur nicht erneut weich werden. Der Widerstand gegen einen Schily-Beckstein-Gesetzentwurf ist einen heftigen Koalitionskrach wert. LUKAS WALLRAFF
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen