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EINER VON UNS

■ Bachmannpreisträger Anselm Glück las im Literaturhaus

Im Gegensatz zu den schon zu offensichtlich unter Waschzwang stehenden Dichtern, die neben ebensolchen SFB-Moderatoren eine Zeitlang im Cafe Einstein ihre Millionärssöhnchensensibilitäten aus blütenweißem Papier in Schutzhüllen vorlasen, sieht der 1950 geborene Wiener Anselm Glück, Bachmannpreisträger 1988, rundweg prima aus.

Eine alte Jeansjacke, nur oben zwei Knöpfe offen, die Ärmel hochgekrempelt, dunkelgrauer Armeehosenverschnitt, ein gelbes Armband hält die rote Spieluhr, gelichtete Haare stellen sich über einem wachen Gesicht in den Wind. Kurz: einer von uns.

Wienerisch erzählt er Geschichten aus dem 16. Bezirk, von böse oder teuflich, in jedme Fall dumpfen Menschen, vom Struppi und Sonja, von Doris und dem Steirerkönig, kleinen Gaunern und ihren Hackordnungen in seiner Kneipe. Menschen, die irgendwo total gescheitert sind und im gleichen Freundeskreis geblieben weiterscheitern. Vom jungen Ossi, „diesem gerwalttätigen Menschen“, der, ein letztes Bild bevor Glück nach Berlin fuhr, in kurzer Sporthose mit blutenden Füßen, eine Haufen Geld in Händen und Taschen, in der Kneipe, die er zuvor als geprügelter Hund verlassen mußte, herumsteht.

Wenige können erzählen, Glück kann es und wechselt zwischen diesen Erzählungen und den eigenen fein ziselierten, geomentrischen Texten, die er mit fein abgezirkelten, genauen Gesten begleitet. Kurze Prosa, eine Art Traumsprache, allerdings nicht so in Sprache gefaßt, daß die Worte ihr Bild abbauen wie in der Psychoanalyse (deren Aufgabe, so Kittler, ist, „ein inneres Kino in ebenso methodischen wie diskreten Schritten zu zerhacken, bis all seine Bilder verschwunden sind“).

Es gibt in seinen Texten keine Metapher, sondern Wort und Bild sind eins. Der Text läßt Bilder entstehen, die nach seinem Verständnis immer wieder zusammenbrechen. Es scheint tausend Alternativen zur eigenen Person zu geben, mit der man sich nach dem Aufwachen kleidet. Immer wieder wird aufgewacht, und immer wieder sieht man sich mit den gleichen Bildern konfrontiert, bis sich der „Hausverstand“ ordnend einschaltet. Da schläft man schon wieder und wacht wieder auf. „und in hellen wellen schwankte das boot und ein fisch schleppte sich ans Ufer heraus, bis er nur noch erinnerung war. und alles war gleichzeitig und wie auf den kopf gestellt und andere hielten die hand mit der er winkte und seine gesichter leuchteten. er blickte mit ihnen auf. oder: immer wieder war es das meer. das boot kam nicht von der stelle. seine hände wuschen den strand und die wasseroberfläche lief aus und versank mitten im zimmer und die wäsche ging im bogen auf und entschlossen zeigten die bilder den krampf... und elastisch wie mit federn schleppen sich die mädchen in die jahre.“

Detlef Kuhlbrodt

Anselm Glück: „die eingeborenen sind ausgestorben“ ('87).

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