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Archiv-Artikel

EINE SCHÖNE BRAUT Katzengold

Niemand warf Reis. Die Braut heulte

Eine Uhr ohne Zeiger. Menschen saßen im Schatten und schrieben Postkarten. Die Kirche stand ganz ruhig da. Ab und zu gab sie ein Geläut von sich. Im Inneren war es ebenfalls ruhig. Und aufgeräumt. Leere Bänke, leere Seelen. Taufbecken, 1563. Die Gedenktafeln. Die toten Bischöfe. Ein geweihter Ort, an dem man sich automatisch langsamer bewegte. Keine Kirche ohne Hall, keine Kirche ohne Staub. Keine Hochzeit ohne Orgel. Rechts die Braut, links der Bräutigam. Früher war es umgekehrt, früher hatte die Braut devot zu sein, weswegen sie links stand. Jetzt also rechts. Vaterlos. Die Reihen hinter ihnen waren leer.

Eine schöne Braut. „Nimm mich vom Markt, Baby“, wird sie ihm geflüstert haben, malte ich mir aus. Den Termin hatten sie heimlich ausgemacht. Sie hatten seinen besten Freund und ihre einzige Freundin zusammentelefoniert. Die Ringe waren billig, Katzengold, die Reise fiel aus. Zwei Wahlwaise, die sich heirateten. Nach dem Standesamt werden sie sich zu viert in ihrem Stammcafé betrinken und die Gäste einweihen. Unfassbar betrunken wird das Paar dann kurz vor Mitternacht in ihre kleine Wohnung verschwinden, um es noch pünktlich, aber notdürftig miteinander zu treiben. Am anderen Morgen aber wird er der glücklichste Mensch diesseits des Pluto sein. Und sie auch.

Echte Romantik. Mir kamen die Tränen. Es gab Probleme mit den Ringen. Die Braut war Linkshänderin. Das Paar grinste auf den Marmorboden. In der Kirche durfte nicht fotografiert werden. Die Figuren an den Wänden sahen geschnitzt aus. Draußen ging ein Wind, zwei Paare saßen um einen Brunnen herum und schrieben weitere Postkarten. Endlich kam das frische Paar aus der Kirche. Niemand warf Reis. Die Braut heulte. Der gesamte Vatertext rotierte ihr im Kopf. Der Bräutigam beugte sich verständnisvoll über ihr Gesicht. Eine bekannte Geste. Er konnte ihr nicht helfen. RENÉ HAMANN