EIN DENK-MAL VERLANGT

■ Die Suche nach Carl von Ossietzky im Literarischen Colloquium Berlin

Nicht ums „klischeehafte Sehen der Vergangenheit“ oder um die Denkmalsetzung für einen Märtyrer geht es beim Carl-von -Ossietzky-Ausstellungs- und Diskussionsprojekt im Literarischen Colloquium, das am 10. Mai zur Erinnerung an Ossietzkys Verhaftung vor 58 Jahren von Hans Mayer eröffnet wurde. Das Martyrium Ossietzkys soll hier nicht „mitleidig ins Licht der Gegenwart“ geholt werden, um den von den Nazis verfolgten Pazifisten anschließend auf dem Friedhof der Wohlanständigen zu begraben. Vielmehr, so Mayer, sei Ossietzky so etwas wie ein „Zuordnungspunkt“ für Menschen, „die Aufklärung haben möchten und nicht Duckmäuserei“.

Nun wäre das Leben und Sterben des Redakteurs und Herausgebers der 'Weltbühne‘, Ossietzky, hervorragend dazu geeignet, ihn zu einem Märtyrer, einer Symbolfigur, zu einem „großen Deutschen“ zu stilisieren. 1932 wurde er in Tegel inhaftiert, 1933 brachten die Nazis den „Landesverräter“ zunächst in das KZ Sonnenburg, später in das KZ Esterwegen bei Oldenburg - im Jahr 1938 starb er an den Folgen der KZ -Haft. So wenig wie die Gestapo diesem Autor einer „großen und seltenen, deutschen politischen Prosa“ (Mayer) ein eigenes Grab zugestand, so wenig wußte die deutsche Nachkriegsgesellschaft diesen Antimilitaristen zu würdigen: Die Oldenburger Universität darf offiziel bis heute nicht den Namen Ossietzkys tragen.

Ossietzky nun im Gegenzug als ein Opfer des Faschismus zu heroisieren, ihm „von links“ einen solitären Gedenkstein zu setzen, könnte aufs heute zur Genüge bekannte „Vergessenmachen durch strapaziertes Eingedenken“ hinauslaufen. Ein erhabener Ossietzky-Denkmalskopf an der Wand würde dann zum Beispiel nichts über die problematischen Gründe mitteilen, die ihn 1932 dazu bewogen, in Deutschland zu bleiben und seine Haft anzutreten:

„Der ausschließlich politische Publizist namentlich kann auf die Dauer nicht den Zusammenhang mit dem Ganzen entbehren, gegen das er kämpft (...) Wenn man den verseuchten Geist eines Landes wirkungsvoll bekämpfen will, muß man dessen allgemeines Schicksal teilen“, schrieb er am 10. Mai 1932, dem Tag seines Haftantritts. Tatsächlich verstand sich Ossietzky, der „Insasse einer preußischen Strafanstalt“, als „eine lebendige Demonstration gegen ein höchstinstanzliches Urteil, das in der Sache politisch tendenziös erscheint und als juristische Arbeit reichlich windschief“.

Der Maler Detlef Kappeler, dessen Werke zu Ossietzky jetzt im Literarischen Colloquium ausgestellt sind, wendet sich mit seinen Arbeiten explizit gegen eine Denkmalsetzung. Vielmehr versucht er, Ossietzky „in ein gegenwärtiges Konfliktfeld zu binden“, indem er Zusammenhänge herstellt zwischen der Verfolgung Ossietzkys und dem „ganzen gesellschaftlichen Wahnsinn unserer Zeit, dem Tanz ums Kapital, der stoisch beäugten Untergangsszenerie (und) den Menschen auf ihrem Weg in den Horizont einer negativen Utopie“.

Kappelers kontextbezogene Herangehensweise, die Ossietzky weniger als „Fall“, als Menetekel wahrnimmt, sondern als eine bis heute geschichtlich aktuelle „Konstellation“, hat bereits Mitte der achtziger Jahre helles Aufsehen erregt. Damals hatte der Präsident der TU Hannover Kappeler beauftragt, ein Bild zu Ehren des 1926 von der Universität Hannover suspendierten und 1933 ermordeten Theodor Lessing anzufertigen. Auf diesem Gedenkbild erschien dann neben Lessing das Porträt Peter Brückners, der Ende der siebziger Jahre wegen seines Eintretens für den Göttinger „Mescalero“ seinerseits von der TU Hannover suspendiert worden war. Diesem Bild hat Erich Fried ein Gedicht gewidmet, das mit folgenden Worten endet:

„Nun heißt es, dies sei kein Bild über Theodor Lessing, kein Bild zur Sache! - Ist ein Bild denn nur dann zur Sache, wenn es nichts mehr anschaulich macht von dem, was zur Sache gehört?“

Insa Eschebach

Auf der Suche nach Carl von Ossietzky. Ausstellung (10. Mai bis 17. Juni) und Veranstaltungen im Literarischen Colloquium, Am Sandwerder 5.

15. Mai, 20 Uhr: „Wir müssen loskommen vom Dienst am Wort. Es geht um den Dienst an der Sache.“ Podiumsgespräch mit Bednarz, Eggebrecht, Kappeler und anderen.

23. Mai, 20 Uhr: Lesung im Rahmen des Ossietzky-Projekts mit Eva Demski, Adolf Endler, Rainer Kirsch.

Der Ausstellungskatalog enthält Texte von Lew Kopelew, Dieter Ronte, Johann Tammen und Walter Momper.