: EG-Sondergipfel in Rom: Außer Spesen...
Lediglich die Währungsunion wurde für elf Mitgliedsländer festgeschrieben/ Thatcher stellt sich weiter quer/ Wiederholung der Verurteilung des Iraks/ Kein gemeinsamer Emissär nach Bagdad/ Keine Annäherung an politische Union ■ Aus Rom Francesco Sisci
Es war — wieder einmal — eine besonders erhellende Veranstaltung: der Sondergipfel der EG-Regierungschefs am Wochenende in Rom. Zumindest was den derzeitigen Zustand der Gemeinschaft angeht: Die sowieso chaotischste Hauptstadt Europas stand nicht nur wegen eines Dauerregens unter Wasser, das Zentrum war blockiert durch eine Demonstration von 200.000 Pensionären, und was sich sonst noch zu bewegen versuchte, wurde durch die knapp über den Köpfen herumknatternden Hubschrauber vollends zur Verzweiflung gebracht.
Solchem Chaos mochten die europäischen Entscheidungsträger nicht nachstehen. Die Holländer kamen, weil sie zu Hause noch Wichtigeres zu erledigen hatten, erst gegen halb sieben Uhr abends zur an sich bereits für Mittag geplanten Konferenz; die Deutschen flogen, aus denselben Motiven, bereits am Sonntag mittag wieder ab, vier Stunden vor dem geplanten Ende der Verhandlungen. Ein paar Stunden also für die ausgedruckt mehr als eineinhalb Meter lange Tagesordnung, die den Sondergipfel angeblich unumgänglich gemacht hatte: die Hilfe für die UdSSR und für den europäischen Osten, die deutsche Wiedervereinigung, die Golfkrise und ihr Rattenschwanz von Problemen für die europäische Verteidigung, die Währungsunion, die Vereinheitlichung der Institutionen und Normen, die Einstellung oder Verminderung der Agrarsubventionen.
Konkrete Beschlüsse gab es nirgends. Die Agrarfrage, derentwegen die Amerikaner so drängen, daß Präsident Bush am Vorabend noch den als Tagungspräsidenten fungierenden italienischen Ministerpräsidenten Andreotti angerufen hatte, wurde wieder an die Fachminister zurückverwiesen, die sich am Dienstag in Luxemburg damit befassen sollen. In der Golffrage spielten die Italiener die Hardliner — peinlicherweise kam aber auch heraus, daß Italien mit PLO-Vertretern über die Freilassung seiner Geiseln im Irak verhandelt (was ein Regierungssprecher in Rom recht schwammig mit einem „Davon weiß ich nichts“ dementierte). Das von den Franzosen ausgearbeitete Dokument über eine Verbindung der Lösung der Golfkrise mit der Palästinenserfrage, dessen Verabschiedung noch am Samstag als wahrscheinlich galt, blieb dann jedoch unverabschiedet.
Immerhin: Bei der Frage der Währungsunion gibt es ein etwas konkreteres Ergebnis: Mit elf gegen eine Stimme — die Großbritanniens — legten die Regierungschefs das Datum für den Beginn der zweiten Phase (die Einführung einer europäischen Zentralbank) erwartungsgemäß auf den 1.Januar 1994 fest. Die Pressesprecher der Regierungen wiesen das als mächtigen Erfolg vor. Der Erfolg wird freilich etwas getrübt, weil Margaret Thatcher darauf bestand, in den Beschluß den Wortlaut ihres Dissenses einzufügen.
Italiens Außenminister Gianni de Michelis brachte unterdessen noch einen Brief in Umlauf, in dem er u.a. eine einheitliche EG-Außenpolitik forderte — ein Thema, bei dem vor allem die Franzosen, die Engländer und die Deutschen abwinken, die da allerhand Spielraum abzugeben hätten, während die anderen nur gewinnen können. So blieb es auch da nur bei der wohlwollenden Kenntnisnahme. Über eine Wiederholung der Verurteilung des Iraks kam man auch nicht hinaus; ein Emissär nach Bagdad kommt ebenfalls nicht in Frage.
Kein Wunder, daß die Frage, ob der Sondergipfel überhaupt notwendig war, gegen Ende der Tagung immer mehr in den Vordergrund rückte. Die Stimmung war uneinheitlich: die Franzosen sind derzeit versöhnt mit Italien, weil Rom Straßburg nun doch weiter als Sitz des Europäischen Parlaments beibehalten möchte, die Holländer und die Deutschen zeigten sich eher muffig wegen der ihrer Ansicht nach unnötig vertanen Zeit. Und die Engländer blieben regelrecht feindselig wegen Andreottis Blockade einer Agrar-Gipfellösung und moserten darüber, daß Italien sein halbes Jahr EG-Präsidentschaft „allenfalls für sich, nicht für die Gemeinschaft nutzt“. So ganz schief liegen die Engländer mit ihren Vorwürfen nicht: Allen war klar, daß es sich um eine von Rom vor allem aus hausinternen Gründen einberufene Show handelte: Andreottis Regierung kann sich derzeit nur wegen seiner EG-Präsidentschaft halten — sein sozialistischer Koalitionspartner Bettino Craxi hat erklärt, daß man Europa nicht das Schauspiel einer Ablösung der Regierung während des „italienischen Semesters“ bieten will.
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