piwik no script img

Point 'n' ClickDylan-Highway

■ Das künstlerische Leben des Robert Zimmermann auf einer CD-ROM

„Isis, oh, Isis, you mystical child“, raunzt ein weißgeschminktes Gesicht in einem düsteren Kaffeehaus-Raum. Wir befinden uns im Greenwich Village der 70er Jahre, und auf der Bühne tobt die Rolling Thunder Revue. Besser gesagt, sie tobt auf einer Leinwand hinter der Bühne, denn über die technischen Möglichkeiten eines Spielberg verfügt Graphix Zone, die Firma, die die Bob- Dylan-CD-ROM „Highway 61 Interactive“ produziert hat, nicht ganz. Dennoch, sie haben sich eine Menge einfallen lassen, um die mehr als drei Dekaden dauernde Karriere des borstigen Songpoeten in eine interaktive Spielwiese zu verwandeln.

Erhebt man sich von seinem Kaffeehaussitz und schlendert ein wenig durch den Raum, stößt man überall auf Gegenstände, die plötzlich zum Leben erwachen. Bilder, die anfangen zu sprechen oder gar zu singen, an einer anderen Wand die Fotografie eines Boxers. Ein kleiner Mausklick, und ein Radiosprecher verliest eine Meldung zum Fall des Rubin Carter, jenes aufgrund dubioser Zeugenaussagen wegen Mordes verurteilten Faustkämpfers, der „the champion of the world“ hätte werden können. Noch ein Klick, und der Song „Hurricane“ erklingt, das wohl grimmigste Lied, das Bob Dylan je geschrieben hat, fast jede einzelne Zeile ein Fluch.

Möchte man die Flüche in gesammelter Form nachlesen, verläßt man einfach die Lokalität und klickt auf eine große Gitarre im Hauptmenü, einer vielfältigen, bunten Collage von Dylan-Accessoires. Zum Vorschein kommt das Gesamtwerk, gebündelt in vierzig Alben, den offiziellen natürlich – nicht umsonst sind Dylan und seine Anwälte Vorkämpfer gegen das Bootleggertum. Jeder Song ist mit vollständigem Text vorrätig, bei mehr als 60 Titeln kann man sogar hineinhören. Doch auch die Bootleg-Alben werden nicht völlig vernachlässigt. Eine kleine Sammlung der frühen Exemplare erscheint, wenn man – na, auf was wohl? richtig –, auf ein Paar Handschellen klickt.

Zurück nach Greenwich Village, wo sich die Jukebox als veritable Zeitmaschine erweist. Ein entsprechender Song gedrückt, schon sind wir in der „Perplexed Onion“, einem Coffeehouse im Village der frühen Sechziger. Kurz das „Blowin' in the wind“ eines zornigen Nachwuchskünstlers mit Gitarre und Harmonika angehört, dann nichts wie hinaus auf die Straße, wo ein Gospelchor jubiliert und Galerien, Plattenläden, Buchläden, Delis sowie ein Zeitungskiosk jede Menge Dylaneskes zu bieten haben. Interviews, Songfetzen, ein Zwiegespräch mit John Lennon und eine doppelte Version von „Baby, please don't go“, gesungen zuerst von Big Joe Williams, dann von Little Bob Dylan, wobei auffällt: Dylan ist besser – rauher, dynamischer, intensiver.

Wer möchte, kann vom Plattenladen direkt in die Columbia-Studios des Jahres 1965 hinüberwechseln. Hier ist gerade Pause bei den Sessions zu „Like a rolling stone“. Zeit genug, mit Orgelspieler Al Kooper zu plaudern, der erzählt, wie er in die Sache hineingeriet, und einige musikhistorische Perlen aufzuspüren. Da ist das Demo von „Mr. Tambourine Man“, das Dylan einst Roger McGuinn gab und damit den Ruhm der Byrds begründete. Da ist ein elektrifiziertes „House of the rising sun“ von 1962, zwei Jahre vor dem Animals-Hit, das im übrigen auch auf einem Audio- CD-Player gespielt werden kann, und ein Out-take des hochwitzigen „I Shall Be Free Number 10“, in dem Dylan gegen Cassius Clay boxt („Ich werde dafür sorgen, daß dein Gesicht wie meins aussieht“), mit einer nie veröffentlichten Schlußstrophe: „I went to school, then I stopped, don't know what to do, when I grow up. Might go in the Entertainment.“ Kernstück der Studiosequenz ist jedoch der Entwicklungsprozeß von „Like a rolling stone“. Zehn der insgesamt 21 Takes sind zu hören, besonders hübsch die kurze Nummer 6 mit der Zeile „... threw the dums a dime“.

Zurück ins Hauptmenü, wo sich ein schüchterner Jimi Hendrix hervorzerren läßt und so kurz wie brav „Like a rolling stone“ anspielt. Die Sanduhr liefert eine Dylan-Zeitachse von 1941 bis 1994, das Ahornblatt versetzt uns auf eine Lichtung in der Nähe von Hibbing, wo Fotos und Geschichten herumliegen, die mit einem segelohrigen Schulbuben namens Robert Zimmermann zu tun haben. Das Motorrad erinnert sinnigerweise an einen legendären Motorradunfall und Dylans Woodstock-Zeit, das Peace- Zeichen gebiert ein neues Video von „Masters of war“, es gibt Fotos, von Dylan gefertigte Kunstwerke, Sammlungen von Backstage-Pässen und Eintrittskarten, erstaunlicherweise auch vom Konzert in Gotha letztes Jahr. Die Karte „Dylan 94“ liefert einen Ausschnitt der Unplugged-Session („Dignity“), und ein Stein fördert die „Rainy Day Women“ zutage. Beim 30-Jahre-Jubiläumskonzert kann man auf der Bühne herumlungern oder der anwesenden Musikerschar in ihren Garderoben auf die Nerven fallen, den Zugang zum Supper-Club- Konzert Ende 1993 mit zwei wunderschönen akustischen Songs muß man sich allerdings verdienen, was jedoch nicht allzu schwer ist. Dafür wird man überaus freundlich vom Portier begrüßt und an einem Tisch vor der Bühne plaziert.

Über 20.000 Stunden soll die Herstellung von „Highway 61 Interactive“ gedauert haben, ganz so viel Zeit muß für den Konsum nicht aufgewendet werden. Es reicht jedoch für etliche Stunden des Wühlens in dieser Fundgrube für Dylan- Fans und all jene, die gern mit dem Mauszeiger fuchteln und dem Helden dieser interaktiven Seifenoper-Dokumentation nicht gar zu abhold sind. Matti Lieske

Bob Dylan: „Highway 61 Interactive“. Interactive Music CD- ROM, Sony Music; Macintosh oder Windows 3.1/höher; gute Grafik empfehlenswert, 256 Farben tun es aber zur Not auch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen