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■  Dusan und Sabrije leben in Berlin. Er ist serbischer Herkunft, ihre Familie stammt aus dem Kosovo. Die taz brachte die beiden für ein Gespräch über den Balkankonflikt zusammenDer nahe ferne Krieg

taz: Sabrije, hast du noch Kontakt zu deiner serbischen Freundin?

Sabrije: Seit den Nato-Angriffen haben wir nicht mehr miteinander gesprochen. Vorher hat sie mich sehr oft gefragt: Wie geht es deiner Familie im Kosovo? Und sie erzählte mir, wie es ihrer Familie in Serbien geht. Sie hat gesagt, alle ihre Verwandten seien politisch gegen Miloevic.

Duan: Warum brach euer Kontakt denn dann mit Kriegsbeginn ab?

Sabrije: Wir sprechen uns nur noch auf dem Anrufbeantworter.

Es ist Krieg, und ihr schafft es nicht, zu telefonieren?

Sabrije: Also, ich muß schon wirklich Lust haben, mit jemandem zu reden, dann rufe ich auch häufiger an. Diese Lust habe ich verloren. Momentan ziehe ich mich zurück. Deswegen habe ich mich auch nicht intensiver um meine serbische Freundin gekümmert. Eigentlich will ich mit niemandem über den Krieg reden.

Hast du Angst, eure Freundschaft könnte zerbrechen?

Sabrije: Eigentlich nicht. Aber letztendlich würde sie trotzdem in ihre Richtung tendieren, weil sie weiß, daß ihre Familie unter den Bomben leidet. Ich weiß nicht, ob ich von ihr gestärkt würde. Jeder bangt doch um sein Land. Auch wenn ich verstehe, daß es ihnen derzeit schlecht geht, fühle ich doch für meine eigene Familie mehr. Ich glaube, wenn der Krieg vorbei ist, geht unsere Freundschaft weiter.

Duan: Ich rede heute zum ersten Mal mit einer Albanerin über den Krieg.

Wie würdet ihr das Land nennen, in dem ihr geboren wurdet?

Sabrije: Ich wurde in Jugoslawien, in Lluka e epärme, Decanä geboren. Heute sage ich Kosova dazu. Ich kam als Dreijährige nach Berlin. Aber ich habe mich immer als Jugoslawin gefühlt. In der Berliner Schule, an Titos Geburtstag, war es immer lustig. Ich stand auf der Bühne und habe Gedichte vorgetragen. Wir waren verschiedene Leute mit verschiedenen Sprachen aus einem Land. Wir Albaner galten zwar als ziemlich exotisch, weil nur wenige Jugoslawen wußten, was ein Albaner ist. Aber ich habe mich wohlgefühlt.

Duan: Ich komme aus Belgrad, Jugoslawien. So heißt das Land für mich noch immer, auch wenn ich heute nur Serbien und Montenegro dazu rechne.

Duan, empfindest du so etwas, was man mit Schuld oder Scham umschreiben könnte?

Duan Wieso ich? Auf keinen Fall! Als ich Belgrad vor acht Jahren verlassen habe, hieß das gesamte Land noch Jugoslawien. Jetzt ist es Serbien. Ich bin Jugoslawe und kein Serbe und habe nichts mit dem Krieg zu tun.

Nach deiner Definition tut ein Jugoslawe dem anderen heute menschenverachtendes Leid an.

Duan: Ich empfinde keine Schuld. Niemand aus meiner Familie ist an diesem Krieg beteiligt. Die Nato zerstört unser Land. Sie tritt als Hilfssheriff Amerikas auf.

Eine Vertreibung kommt nicht von heute auf morgen, sie ist systematisch angelegt. Fängt es mit Vorurteilen an?

Sabrije: Seit ich denken kann, habe ich das mitbekommen. Wenn ich mit den Eltern nach Kosova fuhr, sagte meine Mutter an der österreichisch-slowenischen Grenze zu mir: Verhalte dich ruhig! Ich war immer laut und verspielt. Ich habe gerne dieses Peace-Zeichen gemacht und die Faust geballt. Ich wußte, das waren die Zeichen für die Republik Kosova. Die Fahrt über die Grenze war für uns immer mit Angst verbunden. Es ist zwar nie was passiert, aber ich hatte immer diese Furcht im Kopf. Ich wußte, Erwachsenen, die dieses Zeichen machen, droht Gefängnisstrafe.

Duan: Bei uns in Belgrad lebten auch Albaner. Ich habe nie mitbekommen, daß ihnen etwas passierte. Schlecht wird über die Albaner immer gesprochen, egal ob in Belgrad oder Berlin: Sie sind ungebildet, schmutzig und Bauern. Ihre Männer laufen ziemlich prollig herum und machen Ärger. Sie rangieren auf der Sympathieskala knapp vor den Roma.

Sabrije: Ich habe oft beim Bundesamt für die Anerkennung von Flüchtlingen gedolmetscht. Da habe ich mitbekommen, was passierte, wenn ein Albaner nicht macht, was die Serben von ihm verlangten. Die jungen Männer sind geflohen, weil sie nicht in den Krieg gegen die Bosnier und Kroaten wollten. Sie hätten Jugoslawien verteidigt, wäre es von außen angegriffen worden, aber nicht das eigene Volk. Wer nicht in den Krieg wollte, wurde von serbischen Polizisten gesucht. Die Männer haben sich natürlich versteckt, aber die Polizei durchsuchte ihre Häuser. Sie stellten alles auf den Kopf und verlangten Waffen. Wer keine präsentieren konnte, wurde geschlagen. Also haben die Familien aus Angst einen Teil der Ernte oder Vieh verkauft, um sich eine Waffe zu besorgen. Wenn die Serben wiederkamen, haben sie sie ihnen gegeben.

Duan: Heute weiß ich, daß die Kosovo-Albaner jahrelang unterdrückt wurden und ohne Zukunftsperspektive waren. Daß sie nicht mehr als die Grundschule besuchen durften.

Als du das erfahren hast, wie hast du reagiert?

Duan: Es ist mir nicht nahegegangen. Damals lief schon der Krieg gegen Kroatien und Bosnien. Das hat mich beschäftigt. Um das Kosovo habe ich mich nicht gekümmert.

Weil kaum ein Serbe sich für das Kosovo interessierte, werden die Vertreibungen heute akzeptiert?

Duan: Seit dem Bosnien-Krieg ist der Nationalismus in der Bevölkerung enorm gewachsen. Allerdings waren 1991 auch viel mehr Serben bereit, gegen andere zu kämpfen. Aber heute gibt es nur sehr wenige Männer, die freiwillig in das Kosovo gehen. Im Frühjahr 1998 fingen die Vertreibungen an, und 60 Prozent der Polizisten, die deswegen in Belgrad mobilisiert wurden, haben ihren Job hingeschmissen. Die Kriege in Bosnien und Kroatien haben die Leute müde gemacht. Heute aber denken die wenigsten über die Vertreibungen nach. Die Leute in Belgrad kriegen das nicht mit. Sie sehen serbisches Fernsehen und glauben, daß die Kosovo-Albaner vor den Nato-Bomben fliehen.

Glaubst du das, Sabrije?

Ja, das habe ich von meiner serbischen Freundin auch gehört. Die Menschen in Belgrad seien sehr mit sich selbst beschäftigt. Heute haben die Nato-Bomben die Wirtschaft zerstört. Heute fragt niemand: Warum fallen die Bomben?

In Berlin sehen Serben die Bilder der Vertreibung. Diese Leute haben doch Kontakt nach Jugoslawien. Sie könnten ihren Verwandten davon berichten.

Duan: Auslandsserben sind fast immer sehr nationalistisch eingestellt. Es sind meist einfache, ungebildete Leute – Gastarbeiter. Sie gucken keine Sondersendungen und lesen nicht die taz. Sie blättern die Bild durch, halten die Massaker im Kosovo aber für Nato-Propaganda. Außerdem wissen die kaum, wo das Kosovo liegt. Die Auslandsserben sind genauso leicht zu manipulieren wie die in Belgrad.

Sabrije: Ich kenne das: Wenn man mit Verwandten, die nach Albanien geflohen sind, telefoniert, achtet man aufs Geld. Man spricht schnell und hört, was zerstört wurde. Den Serben wird es nicht anders gehen: Diejenigen, die zu Hause sind, berichten über die Zerstörungen und sagen: Wir können kaum weiterleben. Sie sind so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß für Politik keine Zeit bleibt.

Und was erzählt ihr euch in der Berliner Community?

Sabrije: Ich gehe nicht in albanische Clubs. Aber auf Demonstrationen denken die Leute auch nur daran, was mit ihren Freunden, Verwandten in Kosova passiert. Da höre ich auch viel über den Nationalismus, den man in der Ferne entwickelt hat.

Sollte die Nato das Bombardement sofort stoppen?

Sabrije: Ich finde es richtig, daß sie bombardieren. Das gibt den Menschen in Kosova das Gefühl, daß jemand auf sie achtet. Ohne Bomben wären die Vertreibungen auch weitergegangen. Daß die Menschen fortgeschickt werden – dieser Prozeß hat sich durch die Bomben nur beschleunigt.

Duan: Du meinst, auch ohne die Nato hätte die Vertreibung dieses Ausmaß erreicht?

Sabrije: Da bin ich mir ziemlich sicher. Dieser verrückte Miloevic hat sich in den Kopf gesetzt, ein Großserbien zu schaffen, da stören die Albaner nur. Die Bomben sagen den Kosovaren: Jemand ist da, der euch hilft. Ob die Bomben tatsächlich etwas bewirken, weiß ich nicht. Die Zerstörung des Landes ging ja schon vorher los. Die Bomben beschleunigen nur die Zerstörung, die die serbische Armee anrichtet.

Duan: Die Kosovo-Albaner sind die größten Opfer der Nato-Bomben. Es ist unsinnig, zu meinen, die Albaner könnten irgendwann zurück in ihre Häuser. Die Nato-Bomben haben doch Uran im Kern. Sollen sie etwa zurück in radioaktiv verseuchte Gebiete?

Sabrije: Das interessiert die Menschen nicht. Sie wollen immer zurück. Sie denken an die Zukunft, an ihre Nachfahren. Mein Vater hatte auch ein Haus gebaut. Das ist zerstört. Er wird nicht mehr zurückgehen, weil wir Kinder in Berlin bleiben. Aber mein Vater fühlt eine Verpflichtung für die anderen Teile der Familie, die jetzt in Flüchtlingslagern sitzen. Er würde ihnen helfen, ein neues Haus zu bauen, egal, ob die Erde radioaktiv strahlt oder nicht.

Ist ein Friede mit Miloevic möglich?

Sabrije: Man darf niemals mit ihm verhandeln. Ich weiß nur nicht, mit wem sonst. Aber ich ertrage die Vorstellung nicht, wenn alle an einem Tisch säßen und sich die Hände schütteln würden.

Duan: Miloevic hat kein Interesse, daß der Krieg aufhört. Ohne Krieg würde er nicht weiterexistieren können.

Was tun? Weiterbomben bis Belgrad in Schutt und Asche liegt?

Duan: Die Nato muß sofort aufhören. Was danach passiert, interessiert mich nicht. Begreift endlich, daß die Bomben Miloevic nicht stürzen werden. Er hat bis heute fast eine Million Menschen vertrieben. Es sind sowieso nur noch wenige im Kosovo.

Du hast das Kosovo aufgegeben?

Duan: Ja.

Sabrije: Nochmals: Die Albaner wollen zurück und werden zurückgehen. Mit den Bombardierungen darf man erst aufhören, wenn Miloevic einlenkt. Es ist aber ein Fakt, daß die Bomben ihm nichts anhaben, sondern seinem Volk.

Duan: Durch die Bomben sind, sinnbildlich gesprochen, auch die Oppositionellen in Belgrad getötet worden. Der Westen hat einen Fehler gemacht: Er hat die serbische Opposition nie unterstützt, deswegen hält Miloevic sich so lange an der Macht. Noch im Winter 1996/97 gab es starken Widerstand, da gingen täglich bis zu 300.000 Leute auf die Straße. Und im Frühjahr diesen Jahres entwickelte sich das Oppositionsbündnis Zajedno, das heißt „Gemeinsam“.

Hätten sie die Kraft gehabt, Miloevic zu stürzen?

Duan: Dieses Bündnis suchte nach einem Führer und fand einen alten Mann, den Bankier Avramovic. Er war in ganz Serbien populär, weil er die Inflation bekämpft hat. Und alle Prognosen sagten: Er wird Miloevic schlagen. Aber am 20. 10. 1998 wurde er zu einem Frühstück in die deutsche Botschaft in Belgrad geladen. Da war auch ein Amerikaner dabei. Und zwei Stunden nach diesem Frühstück ist Avramovic zurückgetreten. Ich denke, er tat dies, weil der Westen ihn dazu überredet hat.

Deswegen trägt der Westen heute Mitschuld an der Vertreibung der Kosovo-Albaner?

Duan: Genau. Die Bomben sind eine direkte Unterstützung für Miloevic. Weil seine Armee so geschwächt wurde, darf man noch nicht einmal auf einen Putsch aus dem Inneren des Systems hoffen.

Was kann die Vertreibungen stoppen?

Duan: Nichts. Es ist zu spät.

Sabrije: Was heißt, zu spät?

Duan: Es ist zu spät für Frieden, für ein gemeinsames Zusammenleben.

Sabrije Das denke ich auch. Momentan will kein Albaner mit einem Serben zusammenleben.

Duan: Ich bin generell sehr pessimistisch. Nach dem Kososvo geht es in Makedonien und Montenegro weiter. Vor den Vertreibungen lebten 30 Prozent Albaner in Makedonien. Jetzt, mit diesen vielen Flüchtlingen, besteht die Gefahr, daß die Situation eskaliert. Montenegro hat eine Regierung, die gegen Miloevic ist. Ich kann mir vorstellen, daß er dort putschen läßt. Und in Makedonien gab es kürzlich Demonstrationen für Miloevic.

Ist das Jugoslawien eurer Kindheit bald nur noch ein Streifen verbrannte Erde?

Sabrije: Ich sehe nicht, daß es sich von innen heraus erneuern kann.

Ihr sehnt euch nach der alten Gemeinsamkeit. Was ist von euch zu erwarten? Etwa eine serbisch- albanische Freundschaftsgesellschaft in Berlin, zum Zeichen der Versöhnung?

Duan: Hm, eine serbisch-albanische Freundschaftsgruppe wäre theoretisch möglich. Ich würde lieber eine mit Bosniern, Kroaten, Serben und Albanern gründen. Aber diese Frage ist zu hypothetisch.

Sabrije: Auch wenn ich heute hier sitze, glaube ich nicht, daß es eine solche Gruppe geben kann. Ich fände es zwar gut, aber momentan sind wir alle zu sehr belastet. Solange alle im Nationalismus Schutz suchen, ist es müßig über diese Dinge zu reden. Interview: Annette Rogalla, Rüdiger Rossig

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