Durchs Dröhnland: Entsetzen soll verbreitet werden
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Da sich bei den Metallikern nicht mehr allzuviel nach vorne tut, weil die Entwicklungsmöglichkeiten sämtlicher Untersparten ausgereizt sind, orientieren sich einige im Gewerbe wieder rückwärts. Metallica haben vorgemacht, daß man mit den Erfahrungen aus dem Speed-Bereich später trotzdem ganz knorke Mainstream-Rock machen kann, ohne sich in die Nesseln zu setzen. Auch Paradise Lost versuchen sich nun an so was und retten aus ihrer Doom-Zeit nur mehr eine leicht düstere Grundstimmung auf ihre letzte Platte „One Second“. Ein wenig Industrial soll die sehr zurückgenommenen Gitarren ersetzen, aber alles in allem fehlt dieser Platte die Vehemenz früherer Aufnahmen. Statt dessen hat man mit dem Sampler experimentiert, sich ein paar Loops zusammengeschnitten, den Gesang fast schon ehrenrührig nach vorne gemischt, und das eine oder andere Stück geht schon als freundlicher Hitparadenrock durch. Alte Fans der Nordengländer mag das zuhauf verschrecken, aber Freunde der Sisters of Mercy haben endlich adäquaten Ersatz gefunden.
Mit Kreator, Uncle Meat, Sundown, 17.10., 21 Uhr, Huxley's, Hasenheide 108–114, Neukölln
Von solchen altersbedingten Weichheiten sind Thorshammer noch viele Trommelschläge entfernt. Die Berliner wissen, wozu man sich eine große Bassdrum kauft, während der Gitarrist ein Plektrum nach dem anderen durchnudelt. Das alles ergibt einen großen gewalttätigen Lärm ohne einen durchgängigen Rhythmus, dem Normalsterbliche folgen können, und wird mit bösewichtigem Kratzgesang angereichert. Entsetzen, so schreibt man selbst, soll verbreitet werden. Das dürfte auch funktionieren.
17.10., 22 Uhr im Tacheles, Oranienburger Straße 53–56, Mitte, und am 13.11. in der Rockfabrik Halford, Storkower Straße 123, Halle 38, Prenzlauer Berg
Ein Schlagzeug gerührt, ein paar halbakustische Gitarren, ein Standbass, und der Sänger kiekst und jodelt: Doc Thomas & his Honky Tonkin' Music Lovers haben eindeutig zu viele billige Western aus den 40ern gesehen, als die Prärien selbst in S/W saftig grün waren, die Indianer ansprechend böse und Frauen noch zum Retten da. Seit zwei Jahren spielen sie sich nun mit ihrem archäologisch konsequenten Hillbilly durch Berlin, und heute gibt es die Veröffentlichung des ersten Longplayers zu feiern, der natürlich ganz puristisch mit insgesamt nur drei Mikrophonen aufgenommen wurde.
17.10., 21 Uhr, Western Saloon, Ollenhauer Str. 127, Reinickendorf
Die 17 Hippies sind nicht nur ein Salonorchester mit einem solchen Haufen Evergreens im Programm, daß man mit ihnen einen nett entspannten Nachmittag verbringen kann, sondern stecken offensichtlich auch voller sportlichem Ehrgeiz. Da der bisherige Weltrekord für die meisten Konzerte innerhalb von 24 Stunden nur bei neun liegt, wollen sie den kurzerhand auf die neue Bestmarke von siebzehn steigern. Eintritt kosten die jeweils 30minütigen Kurzkonzerte keinen, der Zeitplan sieht so aus: 11.15 Uhr: Flughafen Tempelhof, 12.30: Siemenscasino, Nonnendamm, 13.30: Alte TU-Mensa, Steinplatz, 14.30: Amerika-Gedenkbibliothek, Hallesches Tor, 15.15: in der U-Bahn, 16.20: Markthalle Kreuzberg, Eisenbahnstraße, 17.15: Café Einstein, Unter den Linden, 18.00: Galerie im Quartier, Französische Straße, 19.00: Chamäleon (kostet Eintritt), 20.15: Rote Harfe, Heinrichplatz, 21.00: Café Madonna, Wiener Straße, 22.15: Enzian, Yorckstraße, 23.00 Ex 'n' Pop, Mansteinstraße, 23.45: Ocean Club im Tresor, 0.30 Zum Ribbeck, Milastraße 4
Weil auch alte Männer nicht ohne Musik leben wollen, gibt es Chris Cacavas noch. Oder auch Steve Wynn. Der Ex-Keyboarder von Green On Red und der ehemalige Sänger von Dream Syndicate waren und sind füreinander bestimmt. Nun hat Wynn auch noch auf Cacavas' letzter Platte mitgespielt und mitproduziert. Das Ergebnis hört sich natürlich genauso an wie all die anderen Sachen, die der Paisley-Underground vor mehr als einem Jahrzehnt abgeliefert hat, vielleicht noch ein bißchen mehr nach Neil Young, als Cacavas eh schon immer klang. Cacavas war schon damals die bessere Wahl, weil er sich nie allzu große Selbstüberschätzung leistete, da der große Hype an ihm vorüberging bzw. er ihn aus der zweiten Reihe hinter den Tasten erlebt hat. Wer also heute noch nicht verzichten kann auf diese elegischen Gitarren, die einsamen Männer und die staubigen Straßen, der ist hier an der richtigen Adresse: mitten in der Wüste.
21.10., 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Str. 224, Prenzlauer Berg
Auch Sinai haben eine erste Platte aufgenommen. Ihre EP heißt „Now!“ und hat sie bereits quer durch die Republik geführt. Dort sind das Berliner Quintett und sein Weichspülpop sicher gut angekommen. Das sei ihnen gegönnt, sie haben schließlich an der Hochschule gelernt, Belangloses so souverän zu erschaffen, daß es trotzdem noch schwer nach Anspruch klingt. Die unzweifelhaft grandiose Stimme von Sängerin Sandra Baschin ist da ziemlich hilfreich, das wenig aufregende Geklimpere außen rum hätte nicht sein müssen.
17.10., 21 Uhr, Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg
Ihren Namen bekamen die Disciples von Jah Shaka verpaßt, jenem legendären Londoner Sound-System-Chef, der als erster ihre Dubs spielte. Dabei waren die beiden Brüder weder ausdrückliche Schüler Shakas noch Rastas und nicht einmal schwarz. Durchgesetzt in der Dub-Szene haben sie sich trotzdem, selber auflegen haben sie heutzutage kaum noch nötig. Dafür produzieren sie im eigenen Studio und für das eigene Label am laufenden Band, und wenn sie nach Europa kommen, muß das einen guten, sprich: finanziell lohnenden Grund haben.
Diesmal heißt dieser Grund „Serious Dropout“ und ist die Dub-Compilation-Reihe einer großen Plattenfirma. Zwar haben die Disciples zur letzten Ausgabe nichts beigesteuert, aber auch ohne sie bekommt man einen guten Eindruck, was im Dub heutzutage zwischen Jungle, Ragga, Drum 'n' Bass und House alles so möglich ist. Außerdem dabei: Global Youth, Jah Meek, Grounation, DJ Tricky Chris, Mikey Romeo.
23.10., 21 Uhr, Pfefferberg
Thomas Winkler
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