Durchs Dröhnland: Klingt nicht wie „Schlachthofmetzgermassaker“
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
In Zeiten wie diesen, wo auf der einen Seite Stil fast alles bedeutet, auf der anderen aber jeder Stil nahezu frei ideologisch besetzt werden kann, ist es wahrscheinlich am besten, wenn man gleich eine ganze Palette verschiedener zum jeweiligen Gebrauch hat. The Beetroots sind so ein Fall. Gestählt durch jahrelanges Auf-der- Straße-Spielen, ausgezeichnet als Greenwich Street Entertainer of the Year, können sie alles, was gute Laune garantiert. Lateinamerikanische Rhythmen sind ebenso vorrätig in ihrem Gemischtwarenhandel wie Reggae, Country & Western oder versiert unterkühlter Cocktail-Jazz inklusive Amaretto-Werbung-Saxophon. Wer da nicht tanzt, hat nur dann eine Entschuldigung, wenn er keine Beine mehr hat. Und wann hat man schon mal an einem Abend Al Jarreau, Jonathan Richman und eine Karikatur von Johnny Cash auf einer Bühne? Gefürchtet sind vor allem die Coverversionen der 1991 in Bristol gegründeten Combo. Und die machen vor nichts halt, was heilig ist. „Ghost Riders in the Sky“ wird dann so bedrohlich wie ein Pfefferminzbonbon ohne Zucker und dazu werden fürs Livererlebnis die ganz bunten Cowboyhüte mit den extrabreiten Krempen ausgepackt. So wie auch alle anderen Songs mit entsprechender Bekleidung wohlfeil kommentiert werden. Das wird wohl besonders interessant, wenn „Big Bamboo“, das Solo von King Louie aus dem „Dschungelbuch“ von Walt Disney, zur Aufführung gelangt. Die ganze Band dann in Bambus- oder Bananenröckchen? Denn, wie gesagt, Stil ist alles, woran man sich noch halten kann in diesen Zeiten.
Am 30.7. um 22Uhr im K.O.B., Potsdamer Str.157, Schöneberg
Wer möchte sich eigentlich schon um diese Jahreszeit, wenn sie denn die ihr zustehenden Temperaturen hätte, in stickig-verrauchten Konzertsälen rumtreiben? Niemand, dachten sich wohl auch die (teilweise) Vegetarier, Antialkoholiker und Nichtraucher von P.N.A.T.S.H. und mieteten ein Boot. Berlins überzeugendste Rastas werden also ihren Punkrock mit reichlich Dub-Reggae neben den Ostmatadoren von der Ichfunktion auf einer „Punky- Reggae-Bootsfahrt“ auf der Spree hoffentlich regenfrei vermitteln.
Am 30.Juli. um 20.30Uhr (vermutlich pünktlich) an der Bootsanlegestelle Jannowitzbrücke (vermutlich in Mitte)
Auch nicht gerade stillos sind bekanntermaßen unsere Mitmenschen mit den so kunstvoll auftoupierten Mützen, die früher mal Haare waren. Wenn die nicht gerade hinter einem Bankschalter stehen oder sich auf Friedhöfen gegenseitig aus bösen Büchern vorlesen, treffen sie sich gerne auf der Insel, weil dort oft andere Mitmenschen auf der Bühne stehen, die all ihre blasierten Depressionen in blasierte Töne quetschen können. Wer bisher glaubte, daß schon eine solche Band von einer durchschnittlich verdrahteten Seele nur mit ausreichendem Hang zu einem besonders makabren Humor auszuhalten ist, kann beim „Dark Wave & Gothic Open Air“ an die Grenzen gehen. So sind zum Beispiel Sielwolf, keucht die Selbstdarstellung entzückt, „gewalttätiger als jedes Schlachthofmetzgermassaker“.
Tatsächlich benutzen sie keine Kettensägen, sondern Metalgitarren, harte Industrial-Rhythmen und jede Menge Samples. Die Italiener von Sigillum S kümmern sich ebenfalls ums Innerste, wenn auch weit weniger blutig: „Sie wollen mit ihrer Musik den Verstand aufwühlen, die menschliche Seele und den Geist erforschen.“ Dazu bedienen sie sich komischerweise ähnlicher Werkzeuge wie Sielwolf: knalliger Industrial, statt Gitarren aber Synthies – fett und reichlich. Gar nicht Industrial, dafür aber richtig langweilig wird John Paul Berry, vormals bei Rose of Avalanche, deren Musik noch langatmiger war als die gesammelten Werke von Marion Zimmer Bradley. Mindestens genauso rezeptpflichtwürdig wie Valium. Love Is Colder Than Death haben nicht nur einen Namen wie ein Filmtitel (den es übrigens noch nicht gibt, ich habe nachgeschlagen!), sondern hören sich auch so an. Dunkel dräuende Choräle, vereinzeltes Klopfen im Hintergrund, ein einsames Flöten, dann setzt die mit zittrigen Fingern programmierte Beatbox ein, und mühsam, sehr mühsam setzt sich Musik in Gang. So als wären Enigma in einem Topf mir schwarzer Farbe gefallen. Macht auch Flecken. Mit dabei noch Relatives Menschsein und Auto Da Fe.
Am 31.7. ab 17Uhr auf der Insel, Alt-Treptow6, Treptow
Man fragt sich ja immer wieder, was junge Menschen mit einer Zukunft dazu treibt, sich immer wieder die Köpfe an den Heizungsrohren niedriger Übungskeller anzudotzen, um die nächste, ungezählte Version desselben Dings von 1977 zu machen. Muß wohl daran liegen, daß viele das immer noch hören wollen. Ich ja auch, aber müssen dazu extra fünf Leute den ganzen Weg von Valencia hierher machen, wenn man auch wahlweise im nächsten Hinterhof ähnliche Qualität geboten bekommt? Ich sage nein. Die R.C. Druids glauben vielleicht, es sei cool, daß billig aufgenommene Platten auch billig klingen, aber meine eh schon angegriffenen Boxen finden das gar nicht. Übrigens auch nicht „Kids on Fire“, bester Song ihrer Mini-LP „Stonehenge“. Der rotzt nicht einfach los, sondern versucht Ruhe und Lärm ganz in Pixies-Tradition gegeneinander auszuspielen. Immerhin der David-Hasselhoff- Gedächtnispreis für den dämlichsten Text der Woche steht unseren spanischen Freunden zu: „Baby it's too late/ Too late for love me/ I was crazy for you/ But now I'm going home“.
Am 31.7. um 22Uhr im K.O.B.
Mein Gott, was haben uns diese Langhaarigen nur angetan. Nicht nur, daß wir ganz ernsthafte, ellenlang in den Medien geführte und trotzdem nichtsnutzige Diskussionen darüber ertragen mußten, ob GunsN'Roses nun Rassisten oder nicht sind, wir müssen uns selbst mit Leuten ganz seriös auseinandersetzen, die von sich selbst behaupten „nur ein Haufen Rock'n'Roll-Junkies“ zu sein, „die ihre tägliche Dröhnung brauchen“. Als wenn das nicht schon alles sagen würde, aber nun gut. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Freak of Nature aus Los Angeles kommen, aber ganz so hören sie sich an: Die Gitarren die volle Breitseite, schön Metal, aber nicht zu sehr, schön 70er-Gekniedel, aber nicht allzu fusselig, schön Knallerschlagzeug, aber nicht zu schnell, schön Hardrockgekreische, aber nicht zu operettenhaft. Ganz der Metal-Konsens der letzten Jahre, der ohne Probleme zwischen p.c. und Gehtgutab pendelt. Sänger Mike Tramp war vormals bei White Lion, einer jener zu Tausenden in den Staaten herumlungernden Mainstream-Metal-Bands aus der zweiten Reihe, die aufs dicke Geld, dicke Autos und an den richtigen Stellen dicke Frauen warten. Leider muß man zugestehen, daß Freak of Nature das, was sie machen, gut machen. Ihnen fehlt zwar die epische Brillianz von Metallica oder die wütende Punkdreckigkeit der GunsN'Roses, aber als Sommerlochfüller gehen sie durch. Nächstes Jahr dann vielleicht im Fußballstadion in ihrer Nähe und dann ärgert man sich wieder nur, daß man die kleine Gelegenheit verpaßt hat.
Am 5.8. um 20.30Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg Thomas Winkler
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