Durchs Dröhnland: Gitarrenkreisch et al
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Seinen schon früher ausgiebig vorhandenen Hang zum Dancefloor kann Jasper van't Hof mit der aktuellen Besetzung seiner Combo Pili Pili endgültig ausleben. Neu hinzugekommen sind Frank Itt, der im Reich der zuckenden Hüften als Deutschlands bester Funkbasser gilt und dies auch schon bei Terence Trent D'Arby beweisen durfte, und die Posaunistin Annie Whitehead, die nicht nur in Jazzkreisen einen guten Ruf genießt, sondern sich vor allem durch ihre zahlreichen Gastauftritte auf erfolgreichen Pop-Platten die Butter aufs Brot verdient. In Anspruch genommen wurde sie bisher von Prince, Elvis Costello, Bananarama, Jah Wobble, Joan Armatrading u.a. Allerdings tritt der Keyboarder van't Hof dank des zweiten Blasinstruments in der Besetzung noch weiter als Solist zurück und schlüpft immer mehr in die Rolle eines klassischen Bandleaders. Seit einer Südafrika-Tournee greift van't Hof auch verstärkt auf afrikanische Rhythmik zurück, was sich gar wunderbar mit dem Gesang und den surinamesischen Texten von Patricia Balrak ergänzt, die erstmals auf der aktuellen Pili-Pili-CD „Boogaloo“ verewigt wird, auch wenn sie zuvor bereits im Live-Line-Up auftauchte.
Am 7.1. um 22 Uhr im Franz, Schönhauser Allee 36–39, Prenzlauer Berg.
Ihr Name Party Diktator weckt Assoziationen von rüpelnden, rülpsenden Menschen, die – nachdem sie den Kühlschrank johlend leergesoffen haben – sich der HiFi-Anlage bemächtigen, um möglichst widerliche Musik zu spielen, zu der garantiert niemand tanzen kann. Und so weit entfernt von dieser Vorstellung liegt die Musik der Band mit diesem Namen auch gar nicht. Party Dikator erspielten sich innerhalb von drei Jahren in Bremen Kultstatus und schon nach ihrer ersten LP wurden sie teilweise als beste Band der Welt gehandelt. Und um den Kult noch ein Stück voranzutreiben: Sie waren einige der wenigen deutschen Combos und ganz sicher die unbekannteste, die zur Ehre kam, eine Peel-Session mit dem Meister himself aufnehmen zu dürfen. Und verdient haben sie's auch, denn selten riß eine Band offensiver die eingefahrenen Gleise des Hardcore auf. Es gibt Momente, die erinnern in ihrem wohlgefälligen Chaos fast an Free Jazz, vor allem weil Schlagzeug und Bass den Rhythmus als Squashball benutzen. Da ist alles möglich und findet meist auch zeitgleich statt. Die Gitarre ergießt sich in Rückkopplungen, die aber nicht aufs Zahnfleisch gehen, sondern im Dienste des Songs stehen, ebenso wie hysterische Deklamationen und Gekreische des Sängers. Oberflächlich gehört, spielen Party Diktator den hektischsten Hardcore, der möglich scheint und ganz sicherlich in der Lage ist, auch noch jede Fete zu sprengen. Tatsächlich liegt in ihrer Musik aber eine unglaubliche, fast durchdacht scheinende Ruhe und Relaxtheit. Zu Knochen=Girl möchte ich persönlich kaum noch ein Wort mehr verlieren. Ihr Studenten-wollen-unbedingt-Musik- machen-können-aber-nicht-spielen-und-verbrechen-deshalb- Kunstrock war noch nie der Rede wert. Für Freunde einer gepflegten Verarsche aber immer ein Gewinn.
Am 7.1. um 23 Uhr mit Scum (Berlin) im Eimer, Rosenthaler Straße 68, Mitte.
Fünf Jahre lang durften sie ungestraft Musik machen, aber erst die folgenden 15 Jahre ihres Berufsverbots (persönlich von Margot Honecker verordnet) verschaffte ihnen einen Kultstatus, wie er nur in der verflossenen DDR denkbar war. Im Jahre 1990 schließlich kamen Renft nach der Reunion (wenn auch ohne die im Westen zu lokaler Berühmtheit gelangten Pannach und Kunert, der Rest hatte als Karussell überwintert) mit einer live eingespielten Best-of-Platte zurück, die so schrecklich neben der Zeit war, daß sie nicht nur die eingefleischten Langzeitfans freute, sondern auch für den Rest und die unwissenden Wessis irgendwie ganz lustig war – und zumindest lang verschüttete Erinnerungen an zwiespältige christliche Jugendgruppen-Zeiten weckte. Da hörte man dann nicht nur 20 schnell vergangene Jahre, sondern plötzlich auch wieder Birth Control, die so versuchen, wie Led Zeppelin zu klingen, oder eben Renft, die versuchen, wie die bots zu klingen. Krautrock, Krautrock, wer kennt noch das Wort, es war ein düsteres, vielleicht das dunkelste Kapitel deutschen Musikschaffens. Mantel des Vergessens (fällt erneut).
Am 9.1. um 22 Uhr im Franz.
Die drittletzte Geschichte von der verpaßten Chance geht aber so: Der Sommer des Jahres 1988 gehörte Dinosaur Jr. und ihrem notorischen Langhaarigen J. Mascis. Doch schon Jahre zuvor gründeten die Gebrüder Markus und Micha Acher in Weilheim, das 40 Kilometer südlich von München gelegen ist, eine Band namens The Notwist. Deren Sänger flennte ebenso herzerweichend Neil-Young-mäßig wie Mascis, deren Gitarren boten eine ähnliche fantastische, hysterische Fülle, und überhaupt kamen sie mindestens genauso melancholisch daher wie die Amis. Doch ach, falscher Ort zur falschen Zeit. The Notwist waren nur leidlich erfolgreich und spielten immer noch nebenberuflich in einer heimischen Dixieland-Kapelle, um sich die Gitarrensaiten zu verdienen, während Mascis sein Erreichtes in Chips vorm Fernseher verfraß. Das führte dann auch zu einem etwas verwirrten Verhältnis von Schreiberlingen und Band zu den vermeintlichen Vorbildern. Im einen Artikel behauptete das Trio, Dinosaur seien das Größte, im nächsten dann: „Für Dinosaur Jr. interessieren wir uns eigentlich gar nicht so.“ Dabei haben The Notwist sogar noch mehr zu bieten als die übermächtigen Amerikaner: Verworrene Songstrukturen, weil der Jazz ein Steckenpferd ist, und alle möglichen Metal-Parts von Thrash bis Doom, weil das eben auch ein Einfluß ist. Ganz in dem Sinne haben sie schon angedroht: „Und irgendwann werden wir die nächste Platte aufnehmen, die sicher wieder anders klingen wird. Denn zur Zeit hören wir ziemlich viel Jazz.“ Das letzte Hörbare ist erst mal eine Splitsingle mit drei anderen Bands, die alle Robert Palmers „Johnny und Mary“ interpretieren. Und wieder einmal demonstrieren The Notwist ihre in Deutschland doch nahezu einmalige Fähigkeit, größtmögliche musikalische Aktion, Lärm, Gitarrenkreisch et al mit liebevoller Eingängigkeit zu verbinden. Vielleicht die momentan beste deutsche Rockband. Mindestens aber für diese Woche.
Am 10.1. um 20 Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg. Thomas Winkler
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