Durchs Dröhnland: Die Mutter in dir
■ Die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Selbst in der kulturellen Dürre der vor- und nachsilvesterlichen Zeit blüht der eine oder andere magere Busch. Ein besonders stacheliger ist Johny Brown. Der sang vormals bei der Band of Holy Joy, die – ganz im Gegensatz zu ihrem Namen – all die netten alltäglichen Sünden besang. Und das in einem solch rührseligen Tonfall, daß einem das Herz aufgehen wollte, die Mutter Teresa in einem wach wurde und man auf die Bühne springen und das kleine, verhärmte Männlein mit den abstehenden Ohren in die Arme schließen wollte. Pragmatischere Mitmenschen nannten das gerne „bittersüß“ und hatten recht damit, denn wo die Pogues nur versoffen grölten, setzten die heiligen Freudianer ihre Geigen und Akkordeons so zart und sanft und fein, sang Johny so traumverloren, daß sie näher an französische Chansons als an die Dubliners rankamen. Mr. Brown kam ursprünglich aus Neuseeland, wußte dort den Punkrocker abzugeben, aber fühlte sich offensichtlich in England wohler, wo ihm die allzu bitteren Getränke den Rest gegeben haben müssen. Seitdem singt er seine düsteren Moritaten, diese bösen Geschichten, die, beherrscht von den dunklen Tiefen des Alkoholkaters, sein Leben, das Leben als solches und natürlich vor allem die unerfüllte Liebe behandeln. Das tut er auch weiter nach dem Ende der Band of Holy Joy, doch wie genau, kann ich leider nicht sagen. Denn als einziges Tondokument steht mir ein Live-Band zur Verfügung, das die gewohnte Bootleg-Qualität noch weit unterschreitet. Dort begleitet ihn nur mehr sein alter Weggefährte Hacker auf der Gitarre. Aber man sollte davon ausgehen, daß Johny Brown & the Goodfellas eine vollständige Band inklusive all dieser schwermütigen Instrumente und noch mehr schwermütigen Trinkern sein wird.
Heute, 22 Uhr, auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow
Zu Silvester selbst ist in jeder Mülltonne ja was los, deshalb wollen wir nur unsere alten Freunde von Blechreiz empfehlen. Ihr Ska garantiert immer wieder gleichbleibende Qualität und mindestens die besten Bläser der Stadt können sie ihr eigen schimpfen. Die dürfen sogar „Rudy – A Message To You“ covern und die geheiligten Zeilen verändern, die jedes Filzhütchen im Schlafe mitsummen kann. Aufgewärmt haben zu diesem Zeitpunkt schon Eb Davis & The Lenges Robinson Band mit Blues und dem Special Guest Siggy Davis.
Morgen, ab 21 Uhr im Tränenpalast, Reichstagsufer 17, Mitte
Daß man mit altbekannten Zutaten in dieser Stadt recht flott einen netten Status erreichen kann, haben auch The Out bewiesen. Die behaupten noch nicht einmal von sich, Innovatives zu machen, aber füllen die kleineren Venues und haben ihren Spaß dabei. Viel mehr als eine gelinde Erinnerung an die Kindheit des Publikums schimmert in den stimmbanddehnenden Melodien von Sänger Töff zwar nicht durch, aber die siebziger Jahre werden recht konzentriert auf ein erträgliches Maß zusammengefaßt.
Am 1.1., 22 Uhr, Franz Club, Schönhauser Allee 36–39, Prenzlauer Berg
Es gibt ja bekanntlich zwei Springsteens. Einmal den bösen, der die jeweiligen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner unterstützt und nationaltriefende Balladen über Hometowns verbricht. Auf der anderen Seite den, der das Elend eines Mannes, der es nicht geschafft hat, erwachsen zu werden, in verzweifelten Zeilen immer und immer wieder formuliert, ohne auf den Punkt zu kommen. Und das ist schön. Gundermann, unser Baggerfahrer aus der Lausitz, repräsentiert ohne Zweifel jene wenn schon nicht gute, dann doch zumindest sympathische Seite von olle Bruce. Und das auch noch überaus gekonnt zurechtgestutzt auf ostdeutsche Verhältnisse, die denen des ländlichen Amerikas ja so unähnlich nicht sind. Dazu gibt seine Begleitband, die Seilschaft, eine 1a-E- Street-Band ab, die auch schon mal was von der Weite, der Lonely-Wolf-Verzweiflung und all dem anderen Scheiß gehört hat. Und Gundermanns Fähigkeit, die hochnotpeinlichsten Zeilen noch zu trockener Klasse zu schmirgeln, stellt selbst die von Springsteen in den Schatten.
Am 1.1., 19.30 Uhr, Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte
Es ist nun mehr als 20 Jahre her, da beschloß der damals schwer angesagte Schlagersänger Christian Anders sein erfolgsgeschütteltes Leben in einem Konzeptalbum zu verarbeiten. Er schrieb einen Zyklus aus 25 Songs, die mit holzschnittartigen Dialogen zum Musical „Der Untergang von Taro Torsay“ verbunden wurden. Darin beschreibt Anders die ebenso tränenreiche wie klischeegespickte Geschichte von Taro, dessen Aufstieg vom Kleinkriminellen und Bandenchef zum Popstar inklusive anschließendem tiefem Fall. Das Musical wurde niemals aufgeführt. Nun begab es sich aber erst vor wenigen Jahren, daß diese Platte von dem Comedy- Künstler Thomas Hermanns aus einer Grabbelkiste gefischt wurde. Hermanns, sonst verantwortlich für den „Quatsch Comedy Club“ von premiere und u.a. auch Autor bei „Liebe Sünde“, hatte schon vorher „Grease“ auf die Bühne gebracht. Das Anders-Machwerk verwurstet er unter dem verkaufsfördernderen Titel „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“ allerdings nicht als Musical, was zum einen daran liegt, daß einige der Darsteller gar nicht singen können, zum anderen es einfach zu peinlich wäre. Statt dessen wird einfach die Platte gespielt, durch einige Hits von Anders ergänzt und die Mimen bewegen dazu eifrig overactend die Lippen, schmeißen sich in original Siebziger-Jahre-Fummel und chargieren, was das Zeug hält. Bei den bisherigen Aufführungen tobte das Publikum, was Hermanns Mut machte, eine landesweite Tournee zu lancieren.
Am 5.1., 20 Uhr, Huxley's, Hasenheide 108–114, Neukölln
Thomas Winkler
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