Durchs Dröhnland: Gerechter Zorn
■ Die besten und schlechtesten Konzerte der kommenden Woche
„Wir nehmen alles mit, was man brauchen kann“, singt ein sehr blondes Wesen, das den Namen Suzie trägt und eine Zeitlang Philosophie studierte. Wie das mit Popmusik so ist, gehört sie zu den Dingen, die man zwar nicht braucht, aber immer gerne mitnimmt. Auch wenn sich die Zeilen von Ralley aufs „Zelten“ beziehen, erfüllt die musizierende Wohngemeinschaft doch ziemlich genau diese Voraussetzungen. Dazu haucht Suzie (ohne Nachnamen) direkte Aufforderungen und Versprechungen ins Mikrophon wie „Halt mich“, „Küß mich“ oder „Ich zeig dir was“. Der Rest ist eine Geschmacksfrage, die einen erinnern sich mit wohlig-peinlichem Schauer an die Primitives und ihr blondes Gift, andere hören die Go- Betweens heraus, und meine achtjährige Tochter, gerade voll auf Tic Tac Toe, findet es „etwas babyhaft“. Recht haben irgendwie alle, und da sind wir schon wieder bei Pop-Grundsätzen: Konsens ist prima.
10.8., 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg
Mit Ohren ganz feucht vor Freude muß ich gestehen, daß Tarwater, das Duo aus den ehemaligen Ornament&Verbrechern Ronald Lippok und Bernd Jestram, immer noch meine liebste Berliner Band sind, auch wenn das ignorant sein mag, da doch Roberts Projekt mit Stefan Schneider von den Düsseldorfern Kreidler ungleich mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht. Aber ich mag halt diese schaurig-elegant tröpfelnden Beats, den emotionslosen Sprechgesang und die morbide Grundhaltung, die so tut, als seien wir wieder in den 20er Jahren angekommen, würden uns um Zigarettenkippen prügeln und ginge demnächst die Welt unter (ist ja auch irgendwie was dran). Was bleibt einem da übrig, als den Kragen vom Pullover hochzurollen, mit Dackelaugen in die Welt zu blicken und sich mit Fingerschnippen die Zeit zu vertreiben, bis die Scheiße endgültig aus dem Gully hochkommt.
10.8., 22 Uhr, Anorak, Dunckerstraße 14, Prenzlauer Berg
Auch bei Motörhead beschleichen einen ja solche Gefühle, nur ganz anders. Sicher hat das Geklopfe von Lemmy Kilminster und Konsorten kathartische Wirkung – wenn man bei einem Konzert von Motörhead richtig Spaß haben will, sollte man nichts dagegen haben, mal mit dem Kopf gegen die Wand zu laufen. Es ist so schön, wenn der Schmerz nachläßt. „Kaputt wie Hund“, würde Frank Busemann sagen, hätte er Zeit für die drei Gesellen.
Mit Raven, Hammerfall, Tank und Skew Siskin, 10.8., 19 Uhr, Huxley's, Hasenheide 108–114, Neukölln
Der Gundermann mag eine neue Platte gemacht haben oder auch nicht, was zählt das schon bei ihm, der eben nicht zur Unterhaltung der Leute durch die Lande fährt, sondern zu ihrer Wiederaufrichtung. Er versucht nicht, denen noch ein wenig Amüsement zu bieten, denen eh nichts fehlt, statt dessen gibt er Leuten ein bißchen Hoffnung, die nicht mehr viel haben. Das mag pathetisch klingen, und das ist es auch, aber es funktioniert. Auf so was hat Bruce Springsteen eine Karriere gebaut, eine recht erfolgreiche zudem, und Gundermann macht es ihm in kleinerem Maßstab nach: Vom mittleren Westen in die Lausitz, aber dieselbe Arbeiterklasse aus der ländlichen Provinz, irgendwo zwischen Arbeitslosigkeit und dem schnieken neuen Einkaufszentrum auf der Wiese, das ist die Zielgruppe. Die findet sich zum drei Stunden währenden Konzert zusammen, um ein weit schallendes Klagelied anzustimmen, dem auch eine gute Portion gerechter Zorn immer hübsch zu Gesicht steht.
10.8., 19.30, Freilichtbühne am Weißen See, Eingang Berliner Allee und Albertinenstraße
Was der Gundermann für den Osten Deutschlands, ist Christy Moore für Irland und noch viel mehr. Der nette, schon etwas ältere Herr könnte wohl locker irischer Premierminister werden, so verehrt man ihn zu Hause. Will er aber nicht, statt dessen schreibt er noch 'n Song und spielt seine Musik, die des öfteren als Folkrock abgetan wird, was man ausnahmsweise mal nicht als Beleidigung verstehen sollte. Er mag hierzulande zwar relativ unbekannt sein, trotzdem ist Moore ein großartiger Songwriter. Nicht unbedingt das beste seiner Lieder, aber unzweifelhaft das bekannteste war „Dirty Old Town“, das von Hinz und Kunz und nicht zuletzt den Pogues gecovert wurde. Ansonsten ist er jemand, der scharf beobachtet, schöne Bilder findet und fast schon stoisch erzählt. Gäbe es so was, wäre es Talking Folk.
11.8., 20 Uhr, Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten
Unter Industrial wird mittlerweile reichlich unterschiedliches Zeugs zu den Akten gelegt, vom reinen Elektronik-Gekloppe bis zum reinen Gitarren-Gekloppe ist eigentlich alles dabei, Hauptsache, Gekloppe. Unsere heutigen Kandidaten haben sich nach dem Erreger der Syphilis benannt, was ins Genre paßt und auch eine hübsche Idee ist. Treponem Pal kommen aus Frankreich, ließen sich schon mal von Franz Treichler (Young Gods) produzieren und taten auch bei Auftritten des Branchenführers Ministry mit, womit auch ungefähr ihr Spektrum abgesteckt wäre: Samples schaden nicht, Gitarren sind knorke, Kotzgesang unverzichtbar. Hauptsache, Gekloppe eben. Nach zehn harten Jahren haben sie auf ihrer letzten Platte allerdings etwas die Geschwindigkeit zurückgenommen, und das Ganze hört sich plötzlich ein bißchen, nicht allzusehr, nach Metal an. Diese Entwicklung mag sie unvermutet empfindsam kennzeichnen, aber eigentlich passiert ihnen das gleiche wie Michael Johnson: Der mag immer noch fast so schnell daherrennen, aber so beeindruckend wie noch vor einem Jahr ist das schon lange nicht mehr.
14.8., 21 Uhr, Knaack Thomas Winkler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen