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Durchs Dickicht gefräst

Jacob van Ruisdael verstellt Blickachsen und kontrastiert extreme Farben. Eine Kunsthallen-Ausstellung  ■ Von Petra Schellen

Nein, er gibt den Blick nicht frei. Sondern stellt dichtes Baumgestrüpp prall in die Bildmitte, als wolle er, dass der Blick daran strandet: Der niederländische Landschaftsmaler Jacob van Ruisdael (1628/29-1682), dem jetzt die erste große Deutschland-Schau in der Hamburger Kunsthalle gewidmet ist, kümmerte sich – jedenfalls in seinem Frühwerk – nicht um Konventionen.

Jacob van Ruisdael – Die Revolution der Landschaft haben die Kuratoren die Schau genannt, die Werke van Ruisdaels sowie einiger Zeitgenossen und Nachfolger präsentiert. Ganz nebenbei beleuchtet die Schau zudem maltechnische Details wie den Einsatz von Bleiweiß, das – entsprechend beleuchtet – große Tiefenschärfe erzeugt.

Dünen, Wälder und die Haarlemer Bleichwiesen hat van Ruisdael ins Bild gebannt – zu einer Zeit, in der Landschaftsgemälde in den Niederlanden reißenden Absatz fanden. Fluss- und Waldidylle, bäuerliche Szenen und dörfliches Leben waren damals bevorzugte Themen. Und die meisten Künstler hatten sich im Lauf der Zeit auf einen bestimmten Baum-, Menschen- und Dünentyp festgelegt, der in allen Werken wiederkehrte, ohne dass man individuellen Details Beachtung geschenkt hätte.

Auch die Farbpalette war oft schmal; beliebt waren tonige, etwa in Braun- oder Grüntönen gehaltene Bilder. Und genau von solchen Konventionen setzte sich van Ruisdael vor allem im Frühwerk (1640-1650), auf das sich die Hamburger Ausstellung konzentriert, ab: Mit starken Kontrasten arbeitete der Haarlemer Maler schon als 16-Jähriger und setzte lichtblauen Himmel gegen sumpfschwarzen Wald, als wolle er allein durch die Farbwerte Tiefenschärfe erzeugen.

Mit oft dramatischem Waldgestrüpp stattete er zudem seine Bilder aus, die akribisch Details aufzählen: Verschiedenste Baum- und Strauchsorten hat van Ruisdael abgebildet; keine Knorrigkeit eines Astes entging ihm. Wie eine Narbe wirkt etwa die kahle Partie eines grell beleuchteten Baumstammes (Landschaft mit Hütte), der genausogut eine verwandelte Nymphe sein könnte, deren Bauchnabel man noch sieht. Bizarrste Verästelungen hat van Ruisdael seinen Bäumen zugefügt, hat die Zweige wie Kormoranschnäbel gestaltet oder nacheinander greifen lassen. Und in der Eselstreiber-Dünenlandschaft scheint es, als hielten majestätisch gereckte Bäume, auf einer Ruine aufgestellt, eine agitatorische Rede.

Vordergründig pantheistisch-anthropomorph wird van Ruisdael dabei nie: Es bleibt ein dezentes Eigenleben, das der Künstler seinen Pflanzen andichtet; er belässt es beim subtil ironischen Hinweis auf die Endlichkeit menschlicher Gebäude, die in der Ferne oder als Ruine erscheinen. Auch etwaig moralisierende Vergänglichkeits- bzw. Vanitas-Gedanken bleiben dezent; bloß die stetig wiederkehrenden verrottenden Baumstämme spielen hierauf an, die quer über die Bildmitte ragen, beleuchtet von irgendwo her. Denn es ging dem Maler nicht um realistische Naturdarstellung, sondern er selbst war es, der vorgefundene Ingredients neu ordnete und nach Gusto komponierte:Er konstruierte bewusst keinen sich zum Bildhintergrund hin öffnenden Blick in die Ferne wie viele Zeitgenossen. Mit sperrigem Dickicht, durch das sich das Auge hindurchfräsen muss, verstellte er stattdessen die Blickachse.

Herrschaft über die Blickführung ist es, die van Ruisdael hier ausübt, indem er Farben sowie Nah- und Fernsicht (Landschaft mit Schloss Bentheim) kontrastiert und Unscheinbares – alte Hütten oder morsche Bäume – ins Zentrum rückt; vielleicht, um auf die Willkür jeglicher Anordnung zu verweisen: Wie ein in die Landschaft gezeichnetes Signet wirkt etwa ein S-förmiger Weg (Sandweg in den Dünen), als habe er ein eigenes Zeichen in die Landschaft setzen, vielleicht auch den Betrachter ermuntern wollen, den Blick in unkonventionelle Richtungen zu lenken.

Anderswo – in der Hügellandschaft mit Eiche – scheinen Wolken aus Baumwipfeln herauszuwachsen, als seien sie die immaterielle Fortsetzung des Blättergewölks. Und fast surreal monumental erhebt sich in einem Hauptwerk – der Mühle von Wijk – das titelgebende Bauwerk: ein abermaliger Bruch mit der Konvention, in deren Kanon die heroisierende Betonung alltäglicher Symbole des täglichen Überlebenskampfes nicht vorgesehen war.

Doch so subjektiv Pointiertes wurde rar im reiferen Werk van Ruisdaels, der 1648 in die Gilde eingetreten war. Vermarkten musste er seine Bilder als Selbständiger jetzt selbst, weswegen er sich dem konventionellen Geschmack der Auftraggeber anpasste. Und denen werden brav-idyllische Landschaften, die Auge und Hirn nicht weiter beunruhigten, lieber gewesen sein als vorlaute Experimente mit eigenwilliger Dramaturgie.

Jacob van Ruisdael – Die Revolution der Landschaft. Hamburger Kunsthalle, bis 1. April. Geöffnet Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr. Katalog 23 Euro

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