: Durchgangsstation Rumänien
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzt, daß in Rumänien derzeit rund 60.000 Flüchtlinge aus der Dritten Welt darauf hoffen, nach Westeuropa zu gelangen ■ Aus Bukarest Keno Verseck
In die Tudor-Gociu-Straße des Giurgiu-Viertels verirrt sich ein Fremder höchst selten. Hier, am Südrand Bukarests, sind die Straßen nicht mehr asphaltiert und nach einem Regen kaum mehr passierbar. Neben heruntergekommenen alten Häuschen, in denen es kein fließendes Wasser gibt, stehen heruntergekommene neue Blocks, in denen Wasseranschluß und Fernheizung oft nicht funktionieren. Auf Müllhaufen, welche die städtische Müllabfuhr nicht beseitigt, streunen Hunde und Ratten, wühlen arbeitslose Jugendliche und gebrechliche Alte nach Brauch- und Eßbarem. In einem dieser Blocks befindet sich das Flüchtlingsheim der rumänischen Hauptstadt. Von Soldaten bewacht leben in achtzig Räumen 91 Somalier, 42 Albaner, 16 Iraner und einige wenige Flüchtlinge aus Pakistan, Bosnien und dem Irak.
Hassan Ahmed Alesow spricht gut Rumänisch. Als der junge Mann vor zwei Jahren aus Somalia nach Rumänien kam, hatte er nicht vor, hier zu bleiben. Doch die Grenzen der Länder im „Westen“ waren für ihn versperrt. Die meiste Zeit verbringt Alesow nun im Heim, zieht von einem Zimmer zum nächsten, läßt sich von anderen Flüchtlingen aus Somalia zu einer Tasse Kaffee einladen. „Auf der Straße“, sagt er, „schreien uns die Leute nach: ,He, Coca-Cola!‘ Oder sie nennen uns ,Schokolade‘. Die Geldwechsler greifen uns in die Taschen, weil sie denken, daß sie voller Dollars sind. Es ist nicht besonders angenehm hinauszugehen.“ Seit Rumänien 1991 die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet hat, besteht für die Flüchtlinge die Möglichkeit, einen vorläufigen Asylantrag zu stellen. 800 Menschen haben davon 1992 Gebrauch gemacht. Im letzten Jahr waren es bereits knapp 2.000. Asyl hat bislang aber niemand erhalten, denn ein Gesetz über Migration muß das Parlament erst noch verabschieden.
Wer einen Asylantrag stellt, bekommt bis zur Entscheidung darüber eine Aufenthaltsgenehmigung. Unterkunft und Verpflegung werden im Flüchtlingsheim in der Gociu-Straße vom Ministerium gesichert. Weil der Staat keine Möglichkeiten hat, auch noch Taschengelder bereitzustellen, besteht für die Antragsteller die Möglichkeit, Arbeit zu suchen. Angesichts von 1,5 Millionen Arbeitslosen in Rumänien haben aber selbst diejenigen, die Rumänisch sprechen, kaum eine Chance, diese auch zu finden.
Nachdem die west- und mitteleuropäischen Staaten im vergangenen Jahr ihre Grenzen dicht machten, hat auch Rumänien die Einreisebedingungen für die Bürger von insgesamt 25 Staaten drastisch verschärft. Dennoch ist das Land nach einem gerade veröffentlichten Bericht der Internationalen Organisation für Migration (IOM) inzwischen zu einer „Durchgangsstation für illegale Einwanderer“ geworden. Flüchtlinge aus der Dritten Welt kommen vorwiegend illegal über Moskau, Kiew und Chisinau oder Istanbul und Sofia ins Land, wo sie mit falschen Pässen ausgestattet und gegen Bezahlung nach Westeuropa geschmuggelt werden.
Nach Schätzungen Bukarests halten sich zwischen 18.000 und 30.000 Ausländer illegal im Land auf; die IOM geht sogar von 60.000 aus. Einige tausend Illegale griff die Polizei im vergangenen Jahr an den Grenzen auf, im Februar 1993 wurden erstmals mehrere hundert Menschen abgeschoben.
Im rumänischen Innenministerium heißt es jedoch, daß „Migration kein besorgniserregendes Problem für Rumänien“ sei. Wenig Verständnis haben viele Rumänen für „Neger, Araber und Asiaten“. Die Legende, daß sie sich in der kommunistischen Zeit Ceaușescus Protektion erfreut und mit Dollars nur so um sich geworfen hätten, ist noch die mildeste Begründung für die ablehnende Haltung der meisten Menschen.
Rumänische Medien schreiben, halb mit Verwunderung und Unverständnis, halb mit Haß, über die Anwesenheit von Flüchtlingen. „Das Pressebüro der hauptstädtischen Polizei“, so kürzlich die Zeitung ZigZag, „rät uns, sich nicht vor Flüchtlingen zu fürchten, denn sie sind weniger aggressiv als unsere eigenen Zigeuner.“ Und die faschistische Bewegung „Neue Rechte“ hetzt in ihrem gleichnamigen Blatt: „,Unsere Gäste‘ kommen hierher wie Wanzen, angezogen vom Geruch des Blutes. Schieben wir den Migranten einen Riegel vor. Beginnen wir mit der Offensive des Rumänismus!“
Die Albanerin Besa Demi hat keine schlechten Erfahrungen gemacht. Mit ihrem Mann und beiden Töchtern kam sie vor drei Jahren nach Bukarest. Ihr Sohn ist hier geboren. Die Familie wohnt noch in der Gocio-Straße und sucht eine Wohnung. Ihr Mann, von Beruf Metallurgie-Ingenieur, hat einen Arbeitsplatz an einem Forschungsinstitut gefunden, ihre Töchter besuchen die Schule. Nach Albanien will sie nie wieder zurück. „Wir wollten nicht irgendwo hin, in ein bestimmtes Land, wir wollten einfach weg“, sagt sie. „Zufällig kamen wir nach Rumänien, und dies ist ein gutes Land.“
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