piwik no script img

Durcheinander mit Licht

Die documenta9 — Eine Pressekonferenz mit Jan Hoet in Kassel  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Ein Kompromißler ist er nicht. Jan Hoet ist immer auf dem Sprung; ein franko-italienischer Typ melancholisch-exzessiver Ausstrahlung, Künstlertolle und flackernde Augen. Journalisten, die Fragen stellen, nimmt er ins Visier wie Querulanten im Alltag der Psychiatrie. Er stellt sich erhöht vor eine Tafel und erläutert die Geographie Kassels wie ein Universalsystem. Die konzeptuellen Vorstellungen von Journalisten sind ihm „viel zu eng... viel zu eng“; müde winkt er ab, bevor die Fragenden nach einem Dutzend Fragen und Nachfragen aufgeben.

Mit Ausnahme der Liste von 170 Namen — damit hat Hoet sein selbstgesetztes Qualitätslimit von 120 bis 140 Künstler(inne)n deutlich überschritten — ist die konkrete Nachricht des Tages: Die Orangerie in der Karlsaue ist der documenta für immer verloren gegangen. Die zwischenzeitlich christlich-liberale Landesregierung Hessens hat den barocken Riegel im Grünen einem „Museum für Astronomie und Technikgeschichte mit einem Planetarium“ zugeschlagen, das am 7.April eröffnen wird. Der Trabi steht schon drin.

Die als Ersatz gebaute „documenta-Halle“ (so der trostlose Name) ist genau der Ort, wo die Journalisten versammelt werden. Sie soll nun das Pendant zum Fridericianum bilden. Die Halle, ein Bau von 150 Metern Länge, wurde von dem Frankfurter Architekten und Kasseler Hochschullehrer Jochem Jourdan entworfen. Das eher gebogene als „geschwungene“ Gebäude wirkt, als habe man aus einem riesigen Gebäudering ein Achtel herausgeschnitten. Hinter dem Stadttheater gelegen, schließt es die höher gelegene Innenstadt wie ein Wall ab. Man kann zur Karlsaue herabsehen.

Neben drei steilen Kabinetten bietet der Bau zwei riesige Säle, das gerundete Foyer mit einer Glasfront, und — dahinter gelegen — einen gigantischen Saal mit Oberlicht, der die volle Höhe des Gebäudes, elf Meter, ausmißt: Wer soll so ein Kunst- Vacuum bespielen, wenn nicht der giganteske Anselm Kiefer? Er aber ist nicht eingeladen; definitiv, sagt Hoet. Ein Kompromißler ist er nicht.

Von der Karlsaue gesehen, erscheint die Jourdan-Halle nicht unbedingt als Gewinn: Sie ergänzt eher den trüben Eindruck flächiger Banalität, der sich in der stark zerbombten Stadt durch das konsequente Ausbleiben von Ideen breitgemacht hat. Merkwürdig eigentlich, daß der Architekt das Feierliche, das Kassel als schwächeres Charakteristikum durchaus auch hat, mit seinem Gebäude nicht betont hat, bei (noch) postmodernem Rückenwind.

Was Jan Hoet überhaupt noch an Plänen hat oder verraten will, macht er an den Spielorten der nächsten documenta fest: Bruce Nauman vertrete im Zentrum des Fridericianums das „Männliche“, Marisa Merz und Thierry de Cordier das „Weibliche“. Der ganze Komplex stünde für „die Kraft“. Die neue Halle ist für Hoet „die Kirche“: Panamarenko will er dort zeigen und den Schweden Ulf Rollof, die für ihn das Verhältnis von Körper und Maschine thematisieren, und Gerhard Richter, denn der sei „genau wie eine Maschine, wie er das realisiert“. Das: das ist Richters hoch reflektierte und gefühlspräzise Malerei.

In den nur für die Zeit der Ausstellung unten in der Karlsaue errichteten Pfahlbauten „setzen wir uns durcheinander mit das Licht“ — Hoets Deutsch ist wie ein Schleier über seiner Rede; man muß raten, was er sagen will, und er rät auch nur grob, was die Journalisten ihn fragen wollen, bevor er wieder loslegt. So bleibt es auch im Dunkeln, ob Hoet im ernst Werke von Gauguin, David und Giacometti zeigen will, oder ob wir uns nur im Hinterstübchen seiner Zusammenhänge bewegen, in dem die Begriffe „Funktion“ und „Struktur“ so eifrig regieren, als wären sie gerade erst an die Macht gekommen. Er nimmt nicht das Mikrophon weg vom Gesicht, wenn er wie ein Bube den Rotz hochzieht.

So kommt es ihm gerade recht, daß aus Hamburg das „Van Gogh TV“ angereist ist, eine blonde, verlebte Künstlerpersönlichkeit mit Mullbinde um den Kopf und Camcorder in der Hand. Der Mann fordert — „Jan, wo du jetzt schon von meinem Freund Gauguin sprichst“ — einen „gelben Raum“ für van Gogh. Für ihn hat Hoet eine überzeugende Antwort parat: Der sei „nicht auf der Liste, weil er als Kategorie zu fest steht“. Gerade von der „Störung“ des Ablaufs zeigt sich Hoet eher beruhigt.

Die babylonische Verwirrung, die der künstlerische Leiter stiftet, schlägt — noch — als Welle des Wohlwollens auf ihn zurück. Vielleicht kann ja einer, der die Sprache so umrührt, den die Sprache mit Leuten so entzweit, ungeahnte Kräfte dort entwickeln, wo die Sprache zu Ende ist, wo das Visuelle und Taktile gefragt ist.

documenta9: 13.Juni bis 20.September 1992, täglich 10-20Uhr. In Kassel: Museum Fridericianum, documenta-Halle, Aue-Pavillons, Naturkundemuseum Ottoneum, Neue Galerie, AOK-Treppenhaus, Haus Friedrichsplatz9 und in der ehemaligen Gerhard- Hauptmann-Schule. Tageskarten 20 (12)Mark, zwei Tage 20 (18) Mark. Führungsdienst: 0561/107272.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen