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Dunkle Punkte in der polnischen Vergangenheit

■ In der polnischen Stadt Lublin fand diese Woche ein internationales Symposium über den Völkermord an polnischen Juden statt / Hintergrund ist eine lebhafte Diskussion über die Frage einer polnischen Mitschuld und den polnischen Antisemitismus

Aus Lublin Klaus Bachmann

Das Holocaust–Symposium in Lublin, zu dem 300 Teilnehmer jüdischer Abstammung aus aller Welt eingeladen wurden, findet statt vor dem Hintergrund einer heftigen innerpolnischen Diskussion zum Thema polnischer Antisemitismus und polnisch–jüdisches Verhältnis während und nach der deutschen Besetzung Polens im Zweiten Weltkrieg. In Gang gesetzt wurde die Diskussion durch einen Artikel des bekannten Krakauer Literaturwissenschaftlers Jan Blonski, der in der katholischen Wochenzeitung Tygodnik Powszechny die Frage aufwarf, ob es eine polnische Mitschuld am Holocaust gebe (taz vom 11.2.87). Blonski kritisierte das weitverbreitete Verhalten, solchen Fragen aus dem Weg zu gehen. Nach seinem Beitrag erreichte den Tygodnik Powszechny eine ganze Flut von Leserbriefen und Artikeln. So verdammte der bekannte Warschauer oppositionelle Rechtsanwalt Wladislaw Sila–Nowicki Blonskis Beitrag als „antipolnische Propaganda“ und leugnete Judenfeindlichkeit in Po len fast gänzlich ab. Sila–Nowicki, der im Gegensatz zu Blonski noch der Kriegsgeneration angehört: „Ich bin auf das Verhalten meines Volkes während der Okkupation - einschließlich des Verhaltens gegenüber den Juden - stolz.“ Mehr als für sie getan worden sei, habe nicht getan werden können. Gerade dieser Ansicht wurde im Verlauf der weiteren, im Tygodnik Powszechny abgedruckten Diskussion heftig widersprochen. Eine Historikerin errechnete, daß tatsächlich wohl kaum mehr als zwei Prozent der damaligen erwachsenen Bevölkerung Juden aktiv geholfen habe. Auch Chefredakteur Jerzy Turowicz nahm in einem langen Kommentar zu der Auseinandersetzung Stellung. Die lebhafte Debatte, die der Tygodnik Powszechny in Polen damit ausgelöst hat, hat den Schleier des Vergessens von einigen dunklen Punkten der polnischen Vergangenheit gezogen, von Punkten, die bisher verdrängt worden waren, wie etwa der Tatsache, daß der letzte Judenpogrom in Europa 1946 in Kielce (nördlich von Krakau) stattfand. Über 40 Ju den, größtenteils Überlebende der KZs, wurden dabei in einer mehrstündigen Hetzjagd erschlagen, ertränkt und erstochen. Während der Okkupation gab es polnische Banden, die Juden an die SS verkauften, die Aufständischen des Warschauer Ghettos wurden von den polnischen Partisanen nicht recht ernst genommen. Zuletzt wurden 1968/69 im Rahmen einer sogenannten „Antizionistischen Kampagne“ über 20.000 Juden aus Polen vertrieben. Selbst in oppositionellen Kreisen und in der Untergrundliteratur wird der polnische Antisemitismus häufig als kommunistische Provokation abgetan. „Aber“, so der Warschauer Soziologe Pawel Spiewak, „selbst wenn man annimmt, daß es 1946 und 1968 Provokationen waren, so bedeutet das doch, daß es dafür in der Bevölkerung eine Basis gab.“ Die Verdrängung hat teilweise dazu geführt, daß der Holocaust an den Juden zu einem Holocaust an den Polen umfunktioniert wurde. Polen besuchende Juden sind häufig schockiert, wenn sie sehen, daß auf polnischen Denkmälern für die Opfer des Holocaust nur die Abzeichen für politische, nicht aber für jüdische Gefangene zu sehen sind. Spiewak: „In einem übertragenden Sinn wetteifern die Polen mit anderen Völkern in ihrer Martyrologie. Wir verhalten uns so, als würde das Leiden anderer Völker unser eigenes Leiden herabmindern.“ Zuletzt wurde die Floskel von den „drei Millionen Polen jüdischer Herkunft“ vom polnischen Primas Glemp auf einer Pressekonferenz in Brüssel Anfang dieses Jahres verwandt. Daraufhin protestierte eine Gruppe Warschauer Intellektueller in der Pariser Emigrantenzeitschrift Kultura mit einem Offenen Brief gegen diese „Bagatellisierung der Endlösung“. „Wir erachten diesen Ausspruch als unzulässig in Form und Inhalt und wenden uns an das Sekretariat des Primas mit der Bitte um Aufklärung.“ Das war am 11. März, und eine Erläuterung hat es bisher nicht gegeben und wird es - wie ein Sprecher des Primas den Unterzeichnern mitteilte - auch nicht geben. Einer der Initiatoren des Briefes: „Es ist kein Zufall, daß der Brief nur von der ohnehin kirchenkritischen Kultura und einer einzigen Untergrundzeitung veröffentlicht wurde. Sämtliche katholischen Zeitschriften, an die wir uns gewandt haben, haben die Veröffentlichung abgelehnt.“ Auch fehlen unter den Unterzeichnern bekannte Namen der Opposition. „Selbst Jan Blonski hat es abgelehnt, zu unterschreiben.“ Einerseits mag das daran liegen, daß man um des oppositionellen Burgfriedens willen den Primas nicht öffentlich kritisieren will. Andererseits zeigt es, daß der offene Brief auch an offenen Wunden rührt. Der jüdische Intellektuelle Stanislaw Krajewski, einer der Unterzeichner des Offenen Briefes: „Mit den Deutschen ist die Sache klar. Die haben sich zu ihrer Schuld bekannt. Zwischen Polen und Juden ist das nicht so, die Polen haben die Morde ja nicht begangen. Die Polen legen da eine Abwehrhaltung an den Tag, indem sie sagen, beide, Juden und Polen, hätte das gleiche Schicksal gehabt. Aber so wars nicht.“ So wird auch die jüngste Konferenz in Lublin, die dieser Tage stattfindet, wenig daran ändern können, daß Juden und Polen weiterhin aneinander vorbeireden.

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