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Dunkle Arbeit

In Hamburg arbeiten 80.000 Menschen nachts  ■ Von Babette Brandenburg (Fotos) und Eberhard Spohd (Text)

Seit fünf Jahren arbeitet Martin Delas nur noch nachts. Nicht regelmäßig, sondern nur, wenn sein Arbeitgeber Blohm + Voss Repair einen Auftrag hat. In anderen Ländern wird billiger gearbeitet, da ist die deutsche Firma nur konkurrenzfähig, wenn Qualität und Geschwindigkeit gefragt ist. Wie bei der „Munkebo Maersk“: Nach einer Grundberührung müssen die Bodenplatten erneuert und der Propeller repariert werden. 50 Tonnen Stahl müssen schnell und akkurat verschweißt werden.

Der 48-Jährige macht es des Geldes wegen: „Wer nachts arbeitet, bekommt 12,5 Prozent Zuschlag.“ Dafür steht er von 20 Uhr bis 5 Uhr früh im kalten Hamburger Wind. Aufträge richten sich nicht nach dem Wetter. „Wir sagen immer: Überall in Hamburg regnet es, nur nicht bei Blohm + Voss.“ Das fordert Tribut. Im Schnitt werden die Arbeiter mit 54 Jahren frühverrentet.

Delas muss sich nicht allein fühlen, wenn er zur Arbeit fährt. 80.000 Hamburger arbeiten regelmäßig für die, die zu der Zeit schlafen. Alle leiden unter den verschärften Bedingungen. „Ein Feuerwehrmann schläft nicht“, erzählt Bernd Herrenkind, Wachabtei-lungsleiter der Feuerwache Berliner Tor. Zwar gibt es einen Ruheraum, wo sich die Beamten ab 22 Uhr hinlegen dürfen. Aber die Maßgabe, 40 Sekunden nach Alarm im Wagen sitzen zu müssen, sorgt für permanenten Stress: „Wenn die Lautsprecheransage kommt, springen die Kollegen schon auf, wenn beim Einschalten das Mikro knackt.“

Zur gleichen Zeit werden Drogenintoxikierte, Schlaganfälle, Herzinfarkte in der medizinischen Notfallambulanz des AK St. Georg eingeliefert. Drei Bereitschaftsärzte und zwei examinierte Pfleger behandeln in sechs Kabinen die Patienten. „Wir sind zum Glück gut organisiert“, berichtet der stellvertretende Stationsleiter Mark Nendza, „da muss keiner länger als fünf Minuten warten.“ Auch Überstunden kommen selten vor. In der benachbarten Zentralambulanz für betrunken-hilflose Menschen werden unterdessen die Alkis der Stadt durchs Delirium gepflegt. Auf zehn Monitoren werden die zwei Schlafsäle und vier Einzelzellen überwacht. Mindestens halbstündlich machen die Pfleger ihren Rundgang durch die nach Urin stinkenden Räume.

All diese Menschen sorgen dafür, dass die Vitalfunktionen der Stadt auch über Nacht aufrecht erhalten werden.

Martin Delas hat zwei erwachsene Kinder und einen 15-jährigen Sohn. Nur so hält er die Nachtarbeit durch: „Wenn du kleine Kinder hast, kannst du tagsüber wegen des Lärms nicht schlafen.“ Nach mehreren Monaten erst hatte er sich an einen neuen Lebensrhythmus gewöhnt. Frühstücken, schlafen gehen, abendessen, arbeiten. Nachtschicht in Hamburg.

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