: Dummheit und Fliehkraft
■ Meine Lieblingssportler, unfalltechnisch betrachtet Dritte Disziplin: Reckturnen
NOTHNAGELS ACHTKAMPF
Bei dieser solistischen Sportart kommt es nur auf eines an: Aufs Loslassen. Der im allgemeinen zur Formulierung einigermaßen sinnvoller deutscher Sätze nicht begabte Delinquent hupft zur Ausübung seiner suizidalen Passion vom Boden aus auf eine aalglatte eiserne Stange zu, welche im rechten Winkel zu seiner Wirbelsäule angeordnet ist, und zwar in nichts Gutes verheißender Höhe.
Seine Hände hat er zuvor mit Vollkornmehl abgestumpft und betäubt. Kaum hat er die Stange erreicht, beginnt der Dämlack, eine ganze Palette von dem menschlichen Körper höchst wesensfremden Bewegungen auszuführen. Er versetzt sich beispielsweise durch erbittertes Schwungholen in wüste Rotation um die Stange, - eine Übung, die Nockenwelle genannt wird.
Auch versucht er, quer zum Stangenverlauf auf derselben aufzusitzen, was selbstverständlich und zum Entzücken des hämischen Publikums ein ums andere Mal grotesk mißlingt. Eine Übung, deren Name mir nicht einfallen will, besteht darin, daß der Delinquent seinen Unterleib mit größtmöglicher Wucht gegen die durchaus unnachgiebige Stange schmettert.
Auch ist es dem Reckturner anzuraten, die Nockenwelle bei passen
der Gelegenheit einarmig auszuführen, - eine besonders spannende Übung, bei deren Mißglücken der Vorführende etwa auf Höhe der vierzehnten Sitzreihe zum Aufschlag kommt. Der ordnungsgemäße Abschluß einer Reckübung gestaltet sich wie folgt: Der Rotationsdebile schwingt noch einige Runden, läßt dann in der Aufwärtsbewegung überraschend los, zweckmäßigerweise mit beiden Händen gleichzeitig.
Je nach Aerodynamik, Tagesform und Walten des unerforschlichen Fatums führt der Sportive nun mehrere Salti und Schrauben aus, - ungefähr drei bis acht können es schon werden.
Etwa nach der zweiten verliert er infolge Drehung und Fliehkraft sein ohnehin nur höchst rudimentär ausgebildetes Bewußtsein, läßt heiter alle Rücksichten fahren, landet im Glücksfalle noch auf den allerdings sofort wegkrachenden Beinen, sucht Halt und Trost in der sicheren Gesäßlage und unterhält das Publikum während der folgenden Viertelstunde mit einer stillen Meditation über die Interdependenz von unumstößlichen physikalischen Regeln und dummheitshalber zusammengeschwitzten menschlichen Verstiegenheiten.
Klaus Nothnagel Copyright: „Die höhnende Wochenschau
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen