: „Dummheit, Suff, Frust“
■ Staatsanwalt beantragt im Brandstifterprozeß für Haupttäter 54 Monate Haft und für die übrigen Bewährungsstrafen
Moabit. Im Prozeß um die Brandanschläge auf ein Ausländerwohnheim und einen türkischen Imbiß in Hohenschönhausen hat der Staatsanwalt gestern für den 24jährigen Hauptangeklagten René N. eine Haftstrafe von vier Jahren und sechs Monaten beantragt. Für die übrigen angeklagten Männer und eine Frau forderte er Bewährungsstrafen zwischen zehn Monaten und zwei Jahren. Die Verteidiger appellierten an das Gericht, ihre Mandanten freizusprechen oder zu Jugendarrest zu verurteilen und dem inhaftierten René N. eine Bewährungsstrafe zu geben. Das Urteil wird am Freitag verkündet.
Die dreitägige Beweisaufnahme – die Angeklagten hatten im wesentlichen gestanden – wertete Staatsanwalt Hahne gestern so: Nach einer „ausgeprägten Zechtour“ in Hohenschönhausen und „steigender Stimmung“ beschloß eine „große Gruppe“ junger Leute in der Nacht zum 31. August „noch etwas anzustellen“. Wer den Plan entwickelte, in dem Wohnheim der vietnamesischen Vertragsarbeiter in der Zingster Straße Feuer zu legen, habe nicht geklärt werden können. „Als die Pläne sich konkretisierten“, so Hahne, „verkleinerte sich die Gruppe schnell.“ Die Angeklagten René N., Bernd E., Guido W. und Torsten N. hätten sich mit Molotowcocktails zu dem Heim begeben. Doch als René N. seinen Brandsatz durch ein zuvor eingeschlagenes Kellerfenster geworfen habe, hätten die übrigen drei „kalte Füße“ bekommen und seien geflüchtet.
An dem Brandanschlag auf den türkischen Imbiß am 1. September sei nur René N. beteiligt gewesen. Danach sei jener in der Nacht zum 3. September erneut in dem Wohnheim Zingster Straße zur Tat geschritten, diesmal zusammen mit den Angeklagten Ted K. und Heiko W. Die 20jährige Daniela G. habe Schmiere gestanden. Da bei sämtlichen Anschlägen kaum Sachschaden entstanden war, sprich: „keine tragenden Teile des Gebäudes erfaßt worden waren“, wertete der Staatsanwalt die Taten in bezug auf das Heim als versuchte schwere – und die auf den Imbiß als versuchte einfache Brandstiftung.
In Hinblick auf den erheblichen Alkoholkonsum ging der Staatsanwalt von einer verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten aus. Über ihre Motive hätten sich die jungen Leute allerdings „sehr ausweichend“ geäußert, bedauerte Hahne. Aber zwischen den Sätzen sei eine „dumpfe Ablehnung von Ausländern durchgeschimmert“. Die Angeklagten hätten sich durch eine Mischung aus „Dummheit, Suff und Frust“ angestachelt gefühlt, „die eigene Unzufriedenheit an Schwächeren auszutoben“. Daß er dennoch für alle Angeklagten bis auf René N. Bewährungsstrafen für ausreichend hielt, begründete der Staatsanwalt mit deren „überzeugender Reue“ sowie „schwerer Kindheit“. Zudem hätten einige von ihnen bekundet, ihre ausländerfeindliche Haltung zu überdenken und von Gewalt Abstand zu nehmen. Daß sie alle lediglich Mitläufer gewesen seien, mache ihren Tatbeitrag aber keineswegs besser: „Ohne Mitläufer hätte es keine Täter gegeben“, betonte Hahne. Bei René N. wertete er als strafverschärfend, daß dieser an allen drei Taten beteiligt war und zudem während einer laufenden Bewährungszeit erneut straffällig geworden war. plu
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