Düsterer Jahresbeginn in Schweden: Die Tat von Örebro traf ein verunsichertes Land
Im Januar eskalierte in Schweden die Bandengewalt. Eine Serie von Explosionen, mehrere Morde: Darum waren die Menschen bereits in Krisenstimmung.
![Schäden, die durch eine Explosion in einem Wohnhaus im Stadtteil Ekholmen in Linköping verursacht wurden Schäden, die durch eine Explosion in einem Wohnhaus im Stadtteil Ekholmen in Linköping verursacht wurden](https://taz.de/picture/7509966/14/37509423-1.jpeg)
32-mal waren im Januar Sprengsätze explodiert, im Durchschnitt also mehr als einmal täglich. Gelegt wurden sie vor allem in Eingänge von Mietshäusern in Stockholmer Außenbezirken. Die Polizei schreibt die Taten Mitgliedern krimineller Gangs zu.
Die sichtbaren Schäden variieren in ihrem Ausmaß – ein Restaurant brannte aus, Druckwellen zerstörten teils zahlreiche Fensterscheiben. Ein Mieter wurde schwer verletzt. Der gesellschaftliche Schaden ist massiv, die Verunsicherung groß.
Schweden kämpft seit Jahren mit dem Problem der organisierten Kriminalität. Die jetzige Regierung versucht, ihm betont mit Härte zu begegnen – bislang mit mäßigem Erfolg.
„Vollkommen inakzeptabel“ nannte Schwedens oberste Polizistin Petra Lundh die Situation nach einer Krisensitzung, die Justizminister Gunnar Strömmer Ende vergangener Woche einberufen hatte. In seinem „Rat zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität“ sollen sich Politik und zuständige Behörden strategisch absprechen.
Kriminelle rekrutieren Minderjährige
Die Polizeichefin stellte vor Journalisten fest: Rücksicht auf Menschenleben habe in Bandenkreisen aufgehört zu existieren. „Wir sehen 12-, 13-, 14-Jährige, die schreckliche Gewalttaten begehen, als wäre es ein Nebenjob“, sagte Lundh. Die gewaltbereiten jugendlichen Handlanger werden von Kriminellen häufig über Social Media angeworben.
„Dass wir keine Kontrolle über die Welle der Gewalt haben, ist offensichtlich“, sagte Ministerpräsident Ulf Kristersson (Moderate) auf die Frage eines Journalisten. Eine unangenehme Feststellung für ihn, dessen liberalkonservative Regierung mit Unterstützung der rechtsextremen Schwedendemokraten richtig durchgreifen wollte. Seit 2022 hat sie viele gesetzliche Maßnahmen ergriffen, die Opposition und Aktivist*innen zum Teil kritisieren. Sie werfen der Regierung vor, Rassismus zu fördern und demokratische Grundrechte auszuhöhlen.
So kann die Polizei nun sogenannte Sicherheitszonen ausrufen, in denen sie anlasslose Personen- und Fahrzeugkontrollen durchführen kann. Sie darf präventiv Telefone abhören – und das soll künftig auch bei Kindern unter 15 Jahren möglich sein. Die bereits geplante Gesetzesänderung werde auf Herbst vorgezogen, teilte der Justizminister mit. Zudem soll die Strafmündigkeit von derzeit 15 auf 14 Jahre gesenkt werden.
Besonders viel verspricht sich die Regierung von einer parallel in Deutschland heftig diskutieren Idee: Sie will künftig Kriminellen mit zwei Pässen, die „systembedrohende Verbrechen“ begehen, die schwedische Staatsbürgerschaft aberkennen können. Die Vorbereitungen zur Grundgesetzänderung haben bereits begonnen.
Neues Betätigungsfeld der Gangs
Die Schuld an der ansteigenden Gewalt gab Kristersson nun erneut früheren Regierungen, die sie nicht rechtzeitig gestoppt hätte. Er sprach bewusst von Terrorismus, ungeachtet der Tatsache, dass die Taten nicht politisch motiviert sind.
Laut Polizeichefin Lundh gehören die Sprengstoffanschläge zu einem neuen Betätigungsfeld der Gangs. Bisher kam es immer wieder – auch im Januar – zu Morden zwischen vorrangig konkurrierenden Banden. Bei den Sprengungen gehe es aber um Erpressung, betroffen seien Firmen ebenso wie Privatpersonen.
Schwedens Zoll-Chef Johan Norrman erklärte, der Fokus des Zolls liege nun nicht mehr wie zuvor auf Handgranaten aus früheren Krisenregionen, sondern vor allem auf im Ausland bestellter Pyrotechnik und anderem Material, aus dem Sprengsätze gebaut werden könnten.
Polizei in Stockholm erhält Verstärkung
Ein Viertel der Personen, die sogenannte „Bangers“ – Böller mit 100 Gramm Sprengstoff – online aus dem Ausland bestellten, seien unter 16 Jahre alt. Schon seit Jahren werden damit in Schweden solche Anschläge wie jetzt verübt, aber dieses Ausmaß war bis jetzt unerreicht.
Die Polizeichefin hob wie zur Beruhigung noch hervor, dass man im Januar auch zahlreiche Anschläge verhindert habe. 50 Personen seien festgenommen worden, die mit 25 geplanten Taten zu tun gehabt hätten. Außerdem bekommt die Stockholmer Polizei Verstärkung: 100 Einsatzkräfte aus anderen Regionen werden dorthin geschickt.
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